10 – 15 Oktober 2016
Mittags um halb zwei nehme ich den Bus Richtung Pipa und muss einmal umsteigen in einen dieser uralten VW Busse in weiß: es gibt immer einen Fahrer und der 2.Mann steht hinten drin, schiebt die Tür auf und zu und kassiert das Geld.
Das Hostel ist quasi direkt am Strand, vom Balkon aus kann ich das Meer sehen und es geht immer ein frischer Wind, so dass man die brennende Sonne kaum spürt. Ich richte mich ein im Zimmer ohne Türen und Fenster – wirkt ein bisschen wie ne alte Scheune. Alles offen hier, da wird man früh wach, aber mir gefällt’s – hat was. Nur bin ich die Einzige im Zimmer- hmm…Wollte nicht schon wieder alleine sein.
Am Abend schlender ich durch Pipa und bin angetan von den stilvoll eingerichteten Cafés, Restaurants und Bars.
Wie erwartet wache ich früh auf. Kurz nach 5 geht die Sonne auf und es ist schnell strahlend hell. Der Tag beginnt hier mit der Sonne und die Straßen sind immer direkt belebt. Ich frühstücke, finde aber niemanden, der mit mir den Tag verbringen könnte; nur ein paar Argentinier, die zusammen Urlaub machen. Also Strandtag alleine.
Praia do Amor: absoluter Surfspot, zum Schwimmen nicht ganz ungefährlich. Ich mache ein paar obligatorische Fotos und steige über in den Fels geschlagene Stufen runter zum Strand. Hier reiht sich eine Strandbar an die nächste mit Schirmen, Liegen und Stühlen, Musik dröhnt aus alten riesigen Boxen. Jenseits all dessen suche ich mir einen ruhigen Platz im Sand und hab nur zwei Frauen ein paar Meter weiter neben mir.
Ich verbringe den Tag mit lesen, schreiben, nachdenken, im Wasser abkühlen- richtig schwimmen läuft hier wie gesagt nicht bei dem Wellengang. Gegen Abend sinkt meine Stimmung. Mein Exfreund will nicht akzeptieren, dass ich keinen Kontakt mehr möchte und hält an etwas fest, was so nicht existiert, vielleicht nie da gewesen ist oder ich einfach nicht bereit für bin. Ich bin nicht ganz unschuldig, dass der Kontakt in den letzten Wochen wieder aufgelebt ist, habe ihm gegenüber aber gleich meine Bedenken dazu geäußert. Jetzt merke ich, keine gute Entscheidung. „In so einer Situation musst du ein Arschloch sein, sonst kommst du nicht raus“ hat mein Freund Kai mal schön gesagt. Wir wissen natürlich beide, dass damit einfach klare Ansagen und Konsequenz gemeint sind. Ich lasse mich auf ein Telefonat ein und finde mich wieder, wie ich versuche ihm zu erklären, warum das keinen Sinn macht. Im selben Augenblick denke ich, moment mal – ich muss eigentlich gar nichts mehr erklären, das sind Gefühle und die bedürfen keiner Argumentation. Ich muss noch klarer sein, fühlt sich hart an. Außerdem sollte ich endlich jeden Kontakt meiden.
Das Leben konfrontiert uns so lange mit derselben Situation, bis wir wirklich daraus lernen und nicht mehr denselben Mustern verfallen.
Der Teil in mir, der ihn unglaublich schätzt als Mensch und ihn nicht verletzen will, ist gerade ziemlich laut. Durchs Telefon höre ich: „Sarah, at one point you need to settle down. You can’t do this forever. And you should take this chance“…Nein, ich muss gar nichts! Und wenn es sich richtig anfühlt ohne darüber nachdenken zu müssen, dann passiert das schon von alleine. All das und mehr denke ich, während er redet. Am Ende lege ich auf mit einem endgültigen ‚Goodbye‘ und spüre, wie mich eine Welle von Traurigkeit übermannt, meinen Körper durchströmt und mich schmerzlich weinen lässt. Nach zwanzig Minuten steht der Surfertyp, der wohl zum Hostel gehört und den ganzen Tag bekifft zu sein scheint, wenn er nicht gerade surft, zögerlich im Eingang. Er hat mich wohl gehört – gibt ja keine Wände hier – und fragt, ob alles ok ist. Ich winke entschuldigend ab. Nach viel mehr Tränen schlafe ich erschöpft ein.
„Ich weiß, dass du eine besondere Vergangenheit hast und es dir manchmal schwer fällt dir selbst zu vertrauen. Du fragst dich, ob deine Distanz und dein nicht verliebt sein darin begründet sind. Aber ich erlebe eine Frau, die eine intime Nähe zu ihren Geschwistern hat, tiefe Freundschaften pflegt und ein Vorbild und Führung für junge Menschen ist. Du kannst fühlen, dich binden und loslassen. Du bist ganz einfach nicht verliebt, ganz ohne tiefere Bedeutung. Egal, ob der Kopf sagt, dass alles passt….es ist einfach so und auch nicht schlimm, auch wenn es vielleicht trotzdem weh tut. Es muss einfach ein Mann sein, den du liebst für das wie er ist, vielleicht sogar herrlich unperfekt.“ – Vanessa (vor 7 Monaten)
Nach dieser Nacht gehe ich es gemütlich an, schreibe weiter am Blog, fühle mich traurig und allein, hab keine Lust aktiv zu sein. Eine Ausrede brauch ich nicht, denn es ist wolkig und regnet immer mal wieder. Passend zu meiner Stimmung hat es in der Nacht heftig gestürmt. Es ist schon mittag, und ich überlege das Hostel zu wechseln – brauche jemanden um mich. Während ich durch Booking.com blättere, höre ich Schritte im Raum, blicke auf und auf einmal steht Fernando vor mir: strahlende Augen, dunkles Haar, entspannte Ausstrahlung, sportlich, aufmerksam, interessiert. Er spricht mich direkt an. Fernando ist 31, kommt aus Venezuela, hat Telekommunikation studiert, schon in China, Irland und auf den karibischen Inseln gearbeitet, den Job gekündigt und reist mit seinem besten Freund auf unbestimmte Zeit durch Brasilien auf der Suche nach einem Ort, der sich gut anfühlt zum Niederlassen und vielleicht ein Hostel zu eröffnen. Wo kommt der denn jetzt bitte her? Ich bin perplex – unverschämt gut sieht er auch noch aus. Er fragt, ob ich schon gegessen habe – natürlich nicht. Wäre aber auch total egal, natürlich komme ich mit!
Beim Essen am Strand finde ich heraus, dass er noch krasser unterwegs ist als ich: keine Milch, kein Brot, kein Reis, kein Zucker, kaum Alkohol. Macht Triathlon und Ironman, geht sehr bewusst mit seinem Körper um und träumt davon sich eines Tages selbst versorgen zu können. Nach dem Essen geht sein Freund José zurück zum Hostel. Er spricht leider nicht viel Englisch und mein Spanisch ist noch nicht gut genug für tiefgründige Gespräche, scheint aber auch ein klasse Typ zu sein. Fernando und ich steigen auf einen der Berge, die das Meer umgeben und tauschen uns über unsere Motivation für die Reise aus – man, hat der schöne strahlende Augen! Und er gibt mir das Gefühl, dass der Gedanke, vielleicht nicht mehr in das sichere Leben gehen zu wollen, vollkommen nachvollziehbar ist. Er nimmt mich in den Arm und wir gehen zurück.
Ich erlebe zwei wunderschöne Tage mit den beiden, in denen wir gemeinsam gesund einkaufen und kochen, an den Strand gehen, auf einen Aussichtspunkt klettern, abends tanzen gehen und ich bis in die Nacht hinein mit Fernando in der Hängematte liege und wir reden und lachen. Ich bin berührt von der Art, wie er mich bei allem einbindet, mir Aufmerksamkeit schenkt, mir zuhört und selbst mit Leidenschaft erzählt.
Am dritten Morgen begleite ich die zwei noch zum Bus, sie reisen weiter Richtung Süden und werden die nächsten zwei Wochen in einem Hostel aushelfen. Dafür gibt’s Unterkunft und Essen umsonst. Ich bedanke mich für die Zeit, drücke aus, dass er im perfekten Moment aufgetaucht ist und wie gut mir das getan hat.
Den Rest des Tages schaue ich mich unter anderem auf der Plattform für Freiwilligenarbeit genauer um. Angemeldet bin ich schon seit drei Wochen und mein Profil ist jetzt auch aktualisiert. Es gibt Reisende, die so über Jahre von Ort zu Ort kommen ohne viel Geld auszugeben. Gestern hat mich jemand angeschrieben und mir einen Job in einer Pousada an der Nordküste unterhalb von Fortaleza angeboten, die auch ein Café haben mit (kite-) Surfshop und Verleih. Hört sich gut an: soll irgendwelchen Kindern und Mitarbeitern Englisch beibringen und ansonsten anpacken, wo Hilfe gebraucht wird. Sogar Vollverpflegung und ich darf selbst auch surfen. Ich sage zu. In einer Woche soll ich da sein. Das läuft hier grad echt anders als geplant – nicht, dass ich einen hatte, aber ihr wisst schon, was ich meine…Morgen geht’s nach Fortaleza und einen Tag später gleich weiter nach Jerricoacoara – da freue ich mich riesig drauf! Jeder schwärmt von diesem Ort.
Life is a Pandora box.