Tulum, Playa del Carmen, Cancun – Tourihochburg

14 – 21 November 2017

Debbie, meine Reisepartnerin in Bolivien, hatte mich noch vorgewarnt: wenn du nach Tulum gehst, sieh zu, dass du nicht alleine bist, sonst ist das ganz schön depri. Als ich am Dienstag Abend durch die Straßen laufe, weiß ich sofort, wovon sie spricht: hier herrscht Party-Stimmung, der Strand am nächsten Tag, zu dem ich in dreißig Minuten mit einem klapprigen Rad vom Hostel gelange, komplettiert das Bild: am Tag wird an der Bräune gearbeitet, abends vergnügt man sich in den Bars. Angereist bin ich ohne Begleitung, wenn sich also hier niemand Passendes findet, sehe ich mich nicht lange bleiben. Als ich am Mittwoch Nachmittag zurück in mein ruhiges Hostel komme, treffe ich auf Fred (26) und Patrick (36), zwei Brüder aus Brasilien. Ich kann mir nicht helfen, der Akzent ist Musik in meinen Ohren! Beide sind ruhige Typen, aber in diesem Moment ziemlich aufgeregt, da sie ein Spiel ihrer Lieblingsfußballmannschaft verfolgen.

beach Tulum

Am Donnerstag fahre ich mit Fred und Patrick spontan nach Cabo zu den Ruinen. Fred spricht besser Englisch, Patrick fühlt sich in der spanischen Sprache sicherer und so wechsle ich hin und her, was mittlerweile problemlos klappt. Patrick hat sehr stille und nachdenkliche Momente, dann wieder beteiligt er sich mit leuchtenden Augen an unseren Unterhaltungen. Fred dagegen lächelt immer, ist neugierig, hat etwas Reines und bringt mich mit seiner Art, direkte Fragen zu stellen, ständig zum Lachen.

Bevor uns der Bus zurück nach Tulum bringt, vertreiben wir uns die Wartezeit mit einem Bier und Fritten.

Patrick und Fred fahren abends nach Cancun, und bieten mir an, mitzukommen, ich will aber eigentlich noch gar nicht in die Touristenhochburg – die ganzen Erzählungen haben mich ziemlich abgeschreckt. Also verabschieden wir uns, ich fühle mich direkt allein und habe gar keine Lust schon wieder neue Kontakte zu knüpfen. Ohne lange zu überlegen nehme ich den nächsten Bus nach Cancun. Ist doch kacke wieder allein zu sein – mit der richtigen Gesellschaft wird das dort bestimmt halb so schlimm. Patrick holt mich ganz nach südamerikanischer Manier am Busterminal ab und stoppt ein Taxi für uns.

Am Freitag morgen nehmen wir ein colectivo nach Playa del Carmen – der Hauptstrand ist der absolute Albtraum! Hotelbunker, kein Platz, die Leute liegen nebeneinander wie Sardinen, überall nervige Musik. Puerto Escondido war dagegen ein Paradies.

Patrick wird im Laufe des Tages immer stiller, strahlt Unzufriedenheit aus, zieht sich zurück. Fred bleibt ein Sonnenschein, also konzentriere ich mich auf ihn. Ich schmeiß mich weg als er ernsthaft meint, alle Deutschen trinken Bier, tragen Trachten wie auf dem Oktoberfest und haltet euch fest: spielen Akkordeon! Patrick fügt hinzu: außerdem hätten sie keinen Humor, sind zu ernst, diszipliniert und wenn was nicht klappt, ist es gleich ein Drama. Im Laufe des Tages schlägt Patricks Stimmung um und als ich am Abend Fred frage, was los ist, meint er, Patrick bräuchte etwas „alone time“, was ich verstehen kann. Dass er es allerdings dann am nächsten Tag vorzieht, im Hostel zu bleiben, macht mich doch etwas stutzig. Jegliches Verständnis verliere ich, als Fred und ich am Morgen alleine aufbrechen und er beim Verabschieden nicht mal von seinem Smartphone aufblickt.

Mit Fred verbringe ich einen wunderschönen Tag im Fischerdorf Puerto Morelos, welches auf halbem Weg Richtung Playa del Carmen liegt. Der Bus hält an der Hauptstraße und zum Meer laufen wir knapp drei Kilometer, da Fred sich im Gegensatz zu mir nicht traut zu trampen; ihm fehlt das Vertrauen in Fremde – was einem dadurch alles entgeht!

Am ruhigen Strand haben wir mehr als genug Platz und unterhalten uns wie schon gestern über alles Mögliche sehr ehrlich und offen. Dann kommt seine Frage, ob ich zuhause vermisse. Klar bin ich müde, vermisse tiefergehende Gespräche, meine Familie und Freunde, will nicht andauernd von meine Reise erzählen, immer derselbe Smalltalk; will über Beziehungen sprechen, über Sex,… Die Anregung nimmt er sofort auf und beginnt, sehr intime direkte Fragen zu stellen: Auf was stehst du, was hast du schon ausprobiert, wie fühlt sich dies oder jenes an. Seine herzliche und doch ernsthaft interessierte Art macht es mir unmöglich, nicht auf dieses Gespräch einzugehen. Zudem braucht die Welt mehr gute Lover. So teile ich meine Erfahrung mit ihm, wir lachen, was das Zeug hält – man, tut das gut. Ich kenne Fred erst seit drei Tagen und kann doch so herrlich offen mit ihm sein. Später im Bus fügt er noch hinzu, es sei viel besser mit einer Frau über Sex zu reden, da Männer meistens nur angeben wollen und man keine verlässlichen Informationen bekommt. I’m your girl, Fred!

When you open yourself up to the world the world opens up to you. 

Hab keine Angst, dich der Welt zu zeigen. Wir sitzen alle im selben Boot und sehnen uns nach Vertrauen.

Zurück im Dorf essen wir eine Kleinigkeit und sind dann fast etwas spät dran, aber alles noch im Rahmen, denn Fred und Patrick fliegen heute abend noch nach Mexico City. Dementsprechend unruhig ist Fred als wir die letzten Schritte zum Hostel laufen; wahrscheinlich sorgt er sich um die Reaktion seines Bruders.

Patrick, den ich nur noch Mr Grumpy nenne, zeigt nach wie vor übelste Laune und würdigt mich auch bei unserer Rückkehr keines Blickes, was ich extrem befremdlich, fast schon unverschämt finde und so noch nie erlebt habe. Was ist an diesem Typ bitte noch brasilianisch und was für ein Problem hat er eigentlich? Fred hetzt unter die Dusche, um Sand und Salz vom Meer loszuwerden. Komplett sprachlos bin ich, als ich selbst aus der Dusche komme und die beiden verschwunden sind. Hat er Fred doch ernsthaft genötigt, sofort Richtung Flughafen aufzubrechen. Ich sende Fred eine Nachricht, bedanke mich für den schönen Tag und wundere mich noch lange über Patrick.

Am selben Abend wechsle ich das Hostel, was sich als Fehler herausstellt sobald ich das Mehrbettzimmer betrete: dunkel und mit Klimaanlage, Matratzen mit Plastikfolie umwickelt – wie ich das hasse! Man schwitzt und es knistert bei jeder Bewegung! Am liebsten würde ich direkt wieder gehen, bezahlt ist aber schon. Ich fühle mich vollkommen erschöpft, außerdem spielt mein Darm verrückt, kalter Schweiß auf der Stirn und ich frage mich, was ich hier noch zwei Wochen soll – so viel Zeit habe ich nämlich, bis ich einen Flug in Washington DC nehmen muss. Ich treffe eine Entscheidung aus dem Bauch und buche spontan einen Flug, der mich in drei Tagen nach Halifax bringt. Es reicht – ich brauche Geborgenheit und Liebe. Ich vermisse meinen Sport, das Laufen, bin erledigt, mein Körper reagiert. Nach einer kurzen leidenden Nacht mit Krämpfen, Kopf- und Rückenschmerz und arschkalter Klima schultere ich meinen Rucksack auf und laufe zum Hostel Agavero, welches mir schon in Bacalar empfohlen wurde: wäre ich mal besser gleich hierher gekommen! William aus Kolumbien an der Rezeption ist zuckersüß und gibt einem sofort das Gefühl, zuhause zu sein, welches übrigens die einzige und extrem wichtige Regel hier ist: ‚Esta es su casa!‘ Ich kann erst am Nachmittag einchecken, bekomme aber trotzdem schon Frühstück. In der Küche wird an einem großen Tisch serviert, der zur Konversation einlädt. Am Herd steht ein Koch, der jeden verschlafenen Gast einfach bittet, sich zu setzen. Kurz darauf gibt es Orangensaft und er bereitet eine Köstlichkeit zu. Heute gibt es Burritos, für mich in veganer Variante – sehr lecker! Ich fühle mich jetzt schon sauwohl!

William empfiehlt mir den Strand Playa de Delfines, mit dem Bus kommt man da ganz einfach hin; mach ich doch direkt. Ungefähr fünfundzwanzig Minuten dauert es, bis das Colectivo die komplette Hotelpromenade abgefahren ist; ich steige aus, überquere die Straße und schaue aufs Meer – nein, ich starre aufs Meer! Die Farben sind unglaublich! Ich brauche ein paar Minuten um zu realisieren, dass das, was ich hier vor mir sehe, wirklich echt ist: kein Farbfilter, keine Bearbeitung, kein Fake – die Blautöne des Wassers fesseln meinen Blick.

Auf dem feinen Sandstrand suche ich mir einen Platz und mache es mir bequem. Kaum schließe ich die Augen, muss ich sie doch wieder öffnen, um nochmal aufs Meer zu blicken, denn es ist einfach zu schön um nicht hinzusehen.

Ich winke einen Strandverkäufer zu mir und kaufe Obstschnitze mit Salsa und Limonensaft. Die zwei Männer, die sich nicht weit von mir niedergelassen haben, nutzen den Moment und fragen, ob ich ein Bier zu meinem Obst möchte – da sage ich nicht nein. Ein Wort gibt das andere, wir rücken zusammen und so erfahre ich folgendes: beide sind Mexikaner, haben aber lange in den USA gelebt. Einer der beiden, Zinhuet, musste quasi flüchten und seine Familie zurücklassen, bzw wurde er deportiert, da er ein paar krumme Dinger gedreht hat. Abgeschreckt bin ich davon allerdings nicht, denn ich spüre sein gutes Herz und witzig ist er noch dazu. Sein Freund beantragt gerade seine Papiere für den dauerhaften Aufenthalt in Amerika. Beide fühlen sich mehr dort zuhause, da sie nicht viel Zeit ihres Lebens in Mexiko verbracht haben. Zinhuet gesteht mir, dass er dachte, ich wäre eine reiche Amerikanerin, die hier Urlaub macht. Da muss ich lachen: „Hast du mal meine Sachen genauer angeschaut?“ Er: „Du bist weiß und in Cancun, was denkst denn du!“ Als ich ihm von meiner Reise erzähle, erklärt er mich für verrückt und absolut hardcore. Dass ich meine Annehmlichkeiten in Deutschland dafür aufgegeben habe, kann er nicht nachvollziehen.

Es wird spät, Regenwolken ziehen auf, einmal springen wir noch ins Wasser und als der große Schauer vorbei ist, begleite ich die beiden noch zum Abendessen in ein Restaurant nicht weit von meinem Hostel. Zinhuet begleitet mich zurück und würde gerne noch mehr Zeit mit mir verbringen, ich lehne dankend ab.

William zeigt mir mein Bett und ich bin begeistert. Das ist definitiv eines der besten Hostels, in denen ich je war – und wenn ich das sage, könnt ihr mir blind vertrauen! Einladende große Betten mit guten Matratzen und duftenden Leinen, Licht und Steckdose am Bett, dann noch schöne Farbe an den Wänden, hervorragende Situation im Badezimmer, wunderschöne Dachterrasse, Billiardtisch und und und. Hier hat sich jemand Gedanken gemacht! Meine letzten Tage hätte ich so sicher auch noch gut ausgehalten.

Hostel Agavero

Nach veganen Waffeln am Morgen mache ich mich wieder auf an den Strand und treffe dort Leo aus Schweden wieder (Bekanntschaft aus Bacalar). Auch für ihn ist heute der letzte Tag in Mexico, morgen fliegt er nach Brasilien. Als er erzählt, dass er einen Monat in Curitiba verbringen wird, bin ich ganz begeistert, denn die Stadt gehört zu meinen Favoriten.

Gemeinsam mit seinem Reisebuddy Oscar gehen wir abends gemeinsam essen bei idylischer Atmosphäre am Steg. Mit Leo bleibe ich in Kontakt; drei Wochen später schreibt er mir, dass er schon zurück in Schweden ist: Reisefrust, der fast schon einer Depression glich; ich verstehe sofort, was er meint.

dinner and sunset

Zurück zuhause quatsche ich eine Weile mit William, echt schade jetzt, dass ich nicht mehr Zeit habe. Ich verziehe mich früh ins Bett, denn nach wie vor fühle ich mich schlapp und habe meinen ersten Schnupfen von der Klima im vorherigen Hostel. Um vier Uhr morgens teile ich mir mit einer Australierin ein Taxi, mit der ich mir die Zeit am Flughafen vertreibe und erfahre, dass sie auf Privatyachten arbeitet. Sie empfiehlt mir, mich doch auch mal zu bewerben und gibt mir alle Infos. Auf gehts nach Halifax.

Hör genau hin und geh dahin, wo du dich gut fühlst.

Ein Gedanke zu “Tulum, Playa del Carmen, Cancun – Tourihochburg”

  1. Hmm, liebe Sarah, das klingt ganz schön heftig. Wird Zeit, dass du mal wieder bissl „Zuhausegefühl“ bekommst, um dann aufs Neue wieder los zu ziehen!
    Weiß nicht, wie es dir grad ergeht, aber hier ist noch Weihnachtszeit, alles bissl gemütlich, familienlastig, hektisch aber auch nett. Hoffe dir gings in Halifax ähnlich … LG „Papa“ R.

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