Sonne tanken in México

05. – 19.Januar 2020

Seit drei Monaten lässt Sherry verschiedene Tests über sich ergehen. Ihre Cousine Brenda leidet unter einer Nierenkrankheit und sucht einen Lebendspender. Ohne zu überlegen hat Sherry angeboten, sich testen zu lassen. Nun ist es kurz vor Weihnachten und alle bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Die Regeneration nach der OP würde einige Wochen in Anspruch nehmen und ist für den Spender langwieriger als für den Empfänger. Sherry schlägt daher vor, nach Neujahr zwei Wochen in den Süden zu fliegen, bevor sie flachliegt. Natürlich bin ich gleich begeistert.

Sie bucht für uns zwei Wochen All-inclusive in Mexico in der Nähe von Tulum. Eigentlich graut es mir als Backpacker vor solchen Urlauben, aber ich will mich nicht querstellen, immerhin entkommen wir dem Winter für eine Weile und Sherry will entspannen.

Die Anreise läuft unkompliziert, dennoch haben wir einen holprigem Start, da wir ins falsche Hotel gebracht werden. Nach kurzer Recherche stellt sich heraus, dass der Fehler bei unserer Reisekauffrau liegt, die falsch gebucht hat, was ihr unglaublich unangenehm ist, sie sich tausend mal entschuldigt und schon am zweiten Tag sind wir umgebucht. Die Anlage ist top und das Essen gut. Ein typischer Tag hier gestaltet sich wie folgt: Fitness am Morgen (denn nach dem ersten Cocktail wird das schwierig), Cafe und Saft mit Blick aufs Meer, Frühstück, Pool oder Strand, Lunch, gegen fünf Uhr zurück aufs Zimmer und dann raus zum Dinner in einem der Themenrestaurants. Die Animation danach ersparen wir uns meistens.

Dass das nicht meiner Art zu reisen entspricht, war schon vorher klar und ich würde das wahrscheinlich auch kein zweiter Mal machen, nach der ersten Woche werde ich ein wenig hibbelig. Trotzdem genieße ich natürlich die Sonne, das Meer und die Annehmlichkeiten.

Wir zwei sind nach wie vor harmonisch, auch wenn über uns meine nahende Entscheidung dunkel schwebt. Das bringt unterschwellig Spannung, Schwere und Verschlossenheit mit sich, wir ziehen uns beide emotional zurück. Über bestimmte Dinge, die in der Zukunft liegen, reden wir nicht, da die Vorgabe ist und immer war, dass ich zurück gehe – wofür also über Zukunftspläne sprechen? Ganz stoisch legt Sherry eine Engelsgeduld an den Tag, innerlich ist sie nervös, unruhig, angespannt, versucht all das jedoch von mir fern zu halten.

Zurück zum Urlaub: Wir machen immerhin zwei Ausflüge: Ziplining im Park Explorer: für uns beide ist es das erste Mal und wir haben viel Spaß. Der Park ist gut integriert in seine natürliche Umgebung, man fühlt sich ein bisschen wie im Dschungel, fährt außerdem mit einem Amphibien-Auto und schwimmt durch Höhlen mit Fledermäusen, was uns sehr zum Lachen bringt. Wie immer sind wir ein gutes Team. Sowohl zum Park als auch bei unserem anderen Ausflug in den Ort Tulum sind wir mit dem lokalen Collectivo unterwegs, was mir als Langzeitreisende zumindest ein kleines bisschen Genugtuung gibt. Sherry ist wie immer easy und aufgeschlossen für das kleine Abenteuer. In Tulum bummeln wir durch die Straßen, machen Pause für ein Bier und kaufen Souvenirs.

Die Tage verstreichen und wir freunden uns mit anderen Hotelgästen an, darunter ein Paar aus Australien. Die beiden erzählen viel von dem Bränden, welche dort wüten und haben abgesehen davon noch viel Interessantes vom Land zu erzählen. Mit ihnen verabreden wir uns am letzten Abend zum Essen und verbringen ein paar schöne letzte Stunden.

Unsere Mission ist erfolgreich: wir sind braun gebrannt und aufgewärmt. Ich freue mich auf Sundae, die ich schon vor ein paar Tagen angefangen habe zu vermissen, was Sherry zum Schmunzeln bringt.

Im kalten Halifax erwarten uns -8 bis -16 Grad! Als wir am späten Abend heim kommen, müssen wir tatsächlich erst mal Schnee schippen, um dem Parkplatz für das Auto frei zu bekommen – welcome home!

Gewohnter Stopp in Virginia, erfrischendes Nicaragua und Abschluss auf sunny Holbox

29. April – 08 Juni 2019

Meine Reise beginnt wie so oft bei Carola in Virginia.Während ich auf meinen Flug warte, telefoniere ich mit Mama, erzähle ihr von meinen schweren Wochen, meinen Gefühlsschwankungen. Mit ihr zu sprechen, tut gut.

Kaum bei Carola angekommen, ist es unterhaltsam wie immer, wir verstehen uns blind. Das Wetter spielt auch mit: 27 Grad, Sonne, Pool – überragend! Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Carola meinte schon vor Jahren zu mir, dass das Klima hier perfekt ist: die Sommer werden schön warm und im Winter gibt es richtig Schnee. Bisher muss ich ihr recht geben.

Die ersten Tage ohne Sherry fühlen sich seltsam an. Unsere Beziehung hat sich aufgebaut aus ständiger physischer Nähe, zusammen leben und arbeiten. Sie fehlt – nach der extremen Nähe nicht verwunderlich.

Ich gehe jeden Morgen laufen und denke viel über mich und meine Beziehung zu Sherry, einer Frau, nach. Ich spüre ein Wir-Gefühl, Vertrauen, fühle mich gut aufgehoben, bin nicht wie so oft vorher in meinem Freiheitsgefühl eingeschränkt, alles läuft ungewohnt harmonisch. Wie man vielleicht vermuten würde, habe ich allerdings nicht plötzlich das Ufer gewechselt. Ich war offen für etwas Neues, Sherry ist eine verdammt coole Frau und so hat sich mehr zwischen uns entwickelt. Carolas Mann reagiert auf meine Zerrissenheit mit folgendem Gedankenanstoß: „Du musst dich fragen, was brauche ich im Leben unbedingt und was hätte ich gerne. Und dann stell sicher, dass du Ersteres hast.“Wie immer genieße ich die Zeit hier mit den Kindern, Payti wird von Tag zu Tag kuscheliger. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch Kinder will, aber jetzt noch dieses Fass aufmachen… Als hätte ich nicht schon genug zu entscheiden. Die Tage vergehen schnell. Ich verbringe den Alltag mit Carolas Familie, wir haben viel Zeit zum Reden und entpflanzen einen toten Baum in deren Garten. Carola weigert sich nämlich, jemanden für die Arbeit zu bezahlen und ein kleines bisschen will sie auch ihrem Mann beweisen, dass wir das alleine hinbekommen. Nach den ersten Hieben mit Hacke und Schaufel regt sich kaum etwas und ich bin etwas entmutigt, doch Carola ist fest entschlossen – unbeirrt hacken, graben, rütteln und schaufeln wir – als das Ding dann endlich nachgibt, sind wir mächtig stolz!

Nach einer knappen Woche ist es Zeit Abschied zu nehmen und ich trete meinen Flug nach Managua an. Zu später Stunde Ortszeit lande ich in der Hauptstadt, nehme ein Taxi zum Hostel und bin überrascht, wie heiß es hier nachts noch ist. Am nächsten Tag gehe ich es langsam an, denn zu sehen gibt es hier eh nichts und mein Körper ist am akklimatisieren, ich bin am Dauerschwitzen. Eine Runde laufe ich aber doch durch die Stadt, um irgendetwas gemacht zu haben. Die Hitze ist pervers.

Fruchtsaft ‚to go‘

Ruth vom Hostel ist gesprächig, gibt mir Tipps für meine Reise und macht mir am Abend veganes Essen. Ich treffe auf Josh (USA) und Tomo (England) und wir gehen ein paar Bier trinken. Am nächsten Morgen nehme ich den Bus nach Leon.

Hier ist es wesentlich bunter und schöner, mehr so wie ich Städte in Lateinamerika gewohnt bin.

Auf dem Dach der Kathedrale von León

Das Hostel ist super schön mit offenem Innenbereich und vielem, was ein gutes Hostel ausmacht: gut ausgestattete Küche, viele Chill-Bereiche, Picknickbänke im Essbereich und komfortable Betten.

Ich nehme an der Walking tour am Nachmittag teil und lerne viel über die Geschehnisse hier letztes Jahr: Demonstrationen wegen einiger Unzufriedenheiten mit der Politik, welche gewaltsam niedergeschlagen werden. Über 800 Menschen wurden bisher getötet, in den ersten zwei Monaten verlassen über 42.000 Menschen das Land. Der alleinige Grund, warum es jetzt ruhig ist, ist Angst – gelöst ist nichts.

Abends koche ich im Hostel, quatsche mit ein paar Leuten.Donnerstag steht Volcano Boarding auf meinem Programm. Ich entscheide mich für eine Organisation, die Geld für Projekte einsetzt, die der Kommune helfen. Heute bin die einzige – auch gut, so habe ich den Guide Luis und den Fahrer für mich alleine und kann mein Spanisch üben.

Luis kommt aus dem Norden des Landes und erzählt, dass er zu Schulzeiten täglich auf seinem eigenen Pferd zur Schule ritt. Zwei Stunden war der Weg einfach, das ergibt vier Stunden auf dem Pferd jeden Tag – ein für mich schönes Beispiel für die unterschiedlichsten Lebenswelten auf unserem Planeten. Ich spreche die beiden auf Probleme im Land an, die ich sehe: Überall Müll, Leute werfen alles unbesorgt auf die Straße oder in die Büsche. Der Fahrer meint, dass bisher wenig Aufklärung stattgefunden hat, ein Bewusstsein für Umweltschutz ist nicht wirklich vorhanden. Um mehr Anbaufläche zu bekommen, werden außerdem illegal Felder abgebrannt, das Feuer gerät außer Kontrolle, kleine Wälder brennen ab.

Nach über eine Stunde Autofahrt erreichen wir den Vulkan; der Wind hier kühlt angenehm.

Der Aufstieg geht relativ schnell. Oben angekommen, bekomme ich eine Art Schutzausrüstung gegen Asche und kleine Steine, kurze Einweisung und wie auf einem Schlitten geht’s den Berg hinunter.

Innerlich vergleiche ich mit dem Vulkan in Chile und der Schlittentellerfahrt und bin nicht sonderlich beeindruckt – zu kurz, zu leicht zu erklimmen. Ich hatte schon geahnt, dass es mir so gehen wird, aber was soll’s. Viel Zeit zum Spanisch üben hatte ich und etwas für einen guten Zweck gegeben.

Obwohl es nicht mega anstrengend war, bin ich ganz schön müde und hungrig als wir zurück in Leon ankommen. Im Cafe ‚Mañana Mañana‘ gönne ich mir erst einen Cappuccino mit Keks.

Dann ziehe ich weiter zum ‚Coco Calala‘, da freue ich mich schon seit Tagen drauf, nur vegane Gerichte auf der Karte.

Frittierter Blumenkohl mit frischem Gemüse in weichen Maisfladen und leckere Dips

Soweit läuft es hier gut. Ich habe nette Gespräche und bin neugierig auf den Rest des Landes. Ab und an hätte ich gerne Sherry bei mir oder einen Freund, um meine Erfahrungen zu teilen. Ich vermisse sie und mache mir viele Gedanken, wie und wo es jetzt eigentlich weitergehen soll.

Ich dachte, ich hätte eine Entscheidung getroffen und jetzt wanke ich doch wieder hin und her. Ich will zu viel, irgendeine Tür muss ich schließen, um vorwärts zu kommen.

Am Freitag laufe ich bepackt mit großem und kleinen Rucksack in der glühenden Hitze 25 Minuten zur Bushaltestelle anstatt für 1$ ein Taxi zu nehmen, der sogenannte Chicken Bus kostet dann 15 Cordoba, was weniger als einem Dollar entspricht, ich bin schweißgebadet. Ziel ist Las Piñetas, ein kleiner Ort direkt am Meer. Der Bus ist voll mit Schulkindern, einer Frau mit Wellensittich und Verkäufern, die ihre Snacks loswerden wollen. Müll wird von klein und groß achtlos aus dem Fenster geworfen.

Zwei Stunden später bin ich im Hostel Mano a Mano. Hier geht endlich wie erhofft ein Wind und die Hitze ist leichter zu ertragen – Bikini an und ab ins Wasser.Als ich aus dem Nass komme, sehe ich eine junge Frau auf einem Liegestuhl sitzen. Wir begrüßen uns und kommen direkt ins Gespräch. Mir fällt sofort ihr britischer Akzent und ihre tiefe Stimme auf. Sehr schön, mag ich doch gleich – Rebecca ist ihr Name. Ich erfahre, dass sie auch erst seit ein paar Tagen in Nicaragua ist. Sie kommt vom Norden und will danach nach Costa Rica. Ich erzähle von meinen Plänen, mir die Karibikküste anzuschauen und sie ist gleich ganz Ohr. Ich denke mir, das könnte ein potenzieller Reisepartner werden, mit den Engländerinnen hatte ich schon zweimal super Erfahrungen – und ich behalte recht: wir wollen das kleine Abenteuer gemeinsam wagen. Zwei Tage chillen wir gemeinsam am Strand. Bier, gemeinsam essen und gute Gespräche.Dann macht sie sich auf zurück nach Leon, ich folge einen Tag später. Rebecca (Becs) ist 27, hat einen Bruder, kommt aus der Nähe von Brighton, lebte drei Jahre in Cambodia und ist jetzt auf sechsmonatiger Reise, hat vor vier Jahren 30 kg abgenommen. Sie weiß noch nicht, was sie genau mit ihrem Leben machen will, aber definitiv viel reisen, keine Kinder.

Der Strand tut gut wie immer, ich fühle mich gut mit der gebräunten Haut. Ich kommuniziere jeden Tag mit Sherry – so bleiben wir uns näher. Sie scheint sich voll in die Arbeit zu stürzen, sowohl in der Küche als auch zu Hause.Am Montag fahre ich also zurück nach Leon und erledige ein paar Dinge wie SIM-Card fürs Handy kaufen und Wäsche waschen. Dann treffe ich mich mit Becs, um die Weiterreise zu planen. Wir trinken Bier auf einer Dachterrasse und bekommen plötzlich ganz ungefragt ein zweites Getränk serviert – von dem Herrn an einem anderen Tisch, lässt uns die Bedienung wissen. Wir rechnen damit, dass er gleich rüber kommt um mit uns zu reden. Doch dann steht er auf, nickt uns nur ganz cool zu und geht. Wow! Kostenloser Drink und wir müssen nicht mal mit ihm sprechen.Am Morgen beginnt dann unsere lange Reise Richtung Osten: local bus zum Terminal, Bus nach Managua, Taxi zum nächsten Terminal, Ankunft dort gegen 4 Uhr nachmittag mit anschließender Wartezeit von fünf Stunden bis der Nachtbus nach Bluefields startet. Kein Wunder, dass nur wenige Backpacker dieses Unternehmen wagen.

Hier treffen wir auf Ali and Andy aus England. Mein erster Eindruck: Langzeitreisende, sehr spartanisch unterwegs, er etwas reserviert, sie sehr offen und kommunikativ. Die beiden vertreiben sich die Zeit mit Karten spielen und rauchen. Ich erfahre: Andy ist Biowissenschaftler, arbeitet für eine Weile und dann reisen sie für 6 bis 24 Monate, und so geht das seit 30 Jahren. Die aktuelle Reise ist auf zwei Jahre angelegt. Später mehr zu den beiden.

Warten am Terminal und Pause in der Nacht

Außerdem machen wir die Bekanntschaft mit Rob und Partnerin (der Name ist mir entfallen), auch aus England, sympathisches junges Paar, 6 Monate Reise. Zu sechst verbringen wir die nächsten 24 Stunden, beginnend mit der ungemütlichsten Busfahrt, die ich je erlebt habe: Becs und ich bekommen die übelsten Sitzplätze ganz hinten im Bus zugewiesen: eine harte, mit Leder überzogene Holzbank. Auf der Straße mit unzähligen Schlaglöchern und null Stoßdämpfern im Bus ist Schlaf kaum möglich. Ankunft in Bluefields gegen 5 Uhr morgens, warten auf die Fähre bis 9 Uhr, dann auf dieser sechs Stunden bis zur Insel; wieder kaum Schlaf und es ist heiß. Aber die Fahrt ist ruhig, wir hatten viel gelesen über die raue Überfahrt und viel Kotzerei, doch all das bleibt uns erspart.15:30Uhr Ankunft auf Big Corn Island.

Becs und ich haben für die erste Nacht online ein Zimmer reserviert, Leonardo, der Vermieter, holt uns ab. Ali und Andy schließen sich uns an. Unsere Zimmer sind sehr einfach, aber sauber und schließen an das bescheidene Heim der Familie an. Wir legen ab, fühlen uns alle ziemlich schmutzig – gehen aber einstimmig erst mal ein Bier trinken und tauschen Reisestories aus. Dann duschen und zusammen Abendessen im Comedor – eine Art Restaurant aus Wellblech zusammengeschustert. Am nächsten Tag erkunden wir nach dem Frühstück, bestehend aus Reis und Bohnen, Brot, Tomaten und Ei (für mich ohne), die Insel.Der schönste Strand ist ganz in der Nähe, mit Becs nehme ich ein Taxi um den Norden der Insel zu sehen. Alles ziemlich ruhig hier, die Nebensaison hat gerade begonnen.Am zweiten Abend kochen wir Reis mit Currygemüse und spielen Karten mit Ali und Andy.

Mehr gibt es hier nicht zu sehen und so begeben wir uns am Freitag per Speedboot nach Little Corn, unserem eigentlichen Ziel.

Bereit für die kleine Insel: neben mir Ali, Andy und Becs

Hier gibt es keine motorisierten Fahrzeuge, dementsprechend alles seht idyllisch, saftig grün und friedlich. Becs und ich haben zwei Nächte im Osten der Insel gebucht. Sehr einfach die Unterkunft, Küche kaum brauchbar. Also essen wir auswärts und wechseln am Sonntag ins Hostel zu Ali und Andy. Andy schlägt für uns außerdem einen super Deal raus, somit zahlen wir gerade mal $10 fürs Doppelzimmer pro Nacht. Hier zeigt sich mal wieder, dass die neue Art des Backpackers, alles im voraus zu reservieren zwar sicher, aber nicht unbedingt besser ist.

Mangobäume sind hier so normal wie Apfelbäume in Deutschland

Wir verbringen die Tage hier mit Strand, lesen, Karten spielen und vielen Unterhaltungen. Ich höre Ali and Andy gerne zu. Seit über 30 Jahren reisen sie auf diese Art. Sie arbeiten zwei Jahre und dann geht’s wieder los. Folglich waren sie schon in vielen Ecken der Welt, reisen spartanisch und sind nach wie vor neugierig, Indien hat es ihnen besonders angetan. Ali ist überaus liebevoll, fürsorglich, offenherzig. Die beiden geben ein sehr harmonisches Team ab. Andy ist immer auf der Suche nach dem günstigsten Schnäppchen für Unterkunft, Bier und Rum. Wenn die beiden erzählen, geben sie sich gegenseitig das Wort in die Hand. Seine Stimme ist laut, durchdringend und etwas kratzig, funkelnde Augen, herzhaftes Lachen. Beide haben etwas sehr Entspanntes, keine Kinder (einer ihrer Tipps für eine langjährige gute Beziehung), sie hat die engere Verbindung zu ihrer Familie. Die beiden wissen noch nicht, wie sie ihre Rente bekommen, sehen der Zukunft aber entspannt entgegen.Unser Eindruck von den Inseln: Die Menschen auf dieser Seite des Landes sind freundlicher, das Aussehen karibischer, lockige Haare und helle Augen. Gesprochen wird kreolisches Englisch, was gewöhnungsbedürftig aber sympathisch ist, viele Gerichte werden mit Kokosnuss zubereitet, die kleine Insel ist sehr sauber, nur zweimal die Woche geht die Fähre zum Festland, viele Straßenhunde, die mitunter auch mal zubeissen, Tauchen und Schnorcheln sind die gängigen angebotenen Aktivitäten.Die Sonne tut extrem gut. Gebräunt fühlt man sich einfach viel besser und sieht auch besser aus. Ich vermisse Sherry, weiß jedoch nach wie vor nicht, wie es weitergehen soll. Vielleicht muss ich wirklich eine Lösung finden, die mich regelmäßig länger reisen lässt. Ich sollte eine Liste machen: Was brauche ich, was will ich, auf was kann ich verzichten, wo fühle ich mich wohl und ausgelastet, wo soll meine Basis sein. Wir verbringen die letzten Tage hauptsächlich mit Strand und lesen – vier Personen nebeneinander am Strand, alle am Lesen mit Buch – auch kein gewöhnlicher Anblick heutzutage.Auf einem gemeinsamen Schnorchelausflug mit anderen Gästen des Hostels sehen wir eine Wasserschildkröte, Rochen, kleine Haie, Hummer und viele leuchtend bunte Fische.Es läuft sehr entspannt zwischen uns vieren. Becs ist total goldig, ihr fällt es schwer jegliche Art von Geschenk anzunehmen, egal ob Essen, Sonnencreme etc., sie ist ein kleiner Tollpatsch, was mich an meine Schwester Anne erinnert. Es fühlt sich ein wenig an, wie mit ihr zu reisen, was schön ist. Sie ist lustig, kann über sich selbst lachen, hofft noch auf ein paar Liebschaften in den letzten Wochen ihrer Reise. Sommersprossen, verlegt gerne Dinge, mag wie ich keine brazil nuts, Lieblingszahl 7.Wir freunden uns mit der Schwester des Hostelbesitzers an und sie kocht mit uns an einem Abend das traditionelle Gericht Rondon, bestehend aus Kartoffeln, Yam, Kochbananen und Fisch. Wir sind überrascht von dem intensiven leckeren Geschmack. Eine besondere Erfahrung, denn die Milch der Kokosnuss kommt nicht aus der Dose – wir durchlaufen den natürlichen Herstellungsprozess: Nuss aufhacken, Fleisch entnehmen, raspeln, in Wasser einweichen und Milch rauspressen. Wir lernen: die erste Pressung ist die beste, bis zu dreimal geht, die Raspel werden anschließend an die Hühner verfüttert.

Nach einer Woche verlassen wir die Insel, die Rückreise zum Festland wird etwas entspannter, da wir eine Nacht in Bluefields bleiben.

Stop in Bluefields

Dann die Busfahrt zurück, welche wir aber bei Tag unternehmen, es gibt viel zu sehen und wir stellen sicher, dass wir nicht auf den Kacksitzen landen. Ali und Andy begleiten uns nach Granada, obwohl sie schon dort waren. Sie wollen Vorräte auffüllen (Zigaretten, Rum etc.) Ich überlege, mit den beiden weiter nach Ometepe zu reisen, denn ich genieße ihre Gesellschaft.

So fühle ich mich gerade richtig wohl mit dem Leben zurück als Langzeitreisende und bezweifle, dass ich komplett zurück in feste Strukturen will. Ali und Andy sind inspirierend und in meinem Hinterkopf spüre ich es arbeiten, wie ich das zufriedenstellend hinbekommen könnte. Alle drei Jahre Sabbatjahr? Wirklich zurück ins Lehrerleben? Die vegane Nummer pushen? Was komplett Neues? Dass Sherry und ich gerade so lange getrennt sind, lässt mich nachdenken: unsere Beziehung ist genährt und gewachsen durch physische Nähe. Auf Dauer immer wieder länger getrennt zu sein, kann das funktionieren? Oder ist das genau, was ich brauche, damit es hält? Ich kann definitiv sagen, dass ich mit ihr die bisher beste und gesündeste Beziehung habe: frei und mit viel Lachen, Aufmerksamkeit, Verständnis, liebevoll, lebendig, Überraschungen und mehr.

Der Mai neigt sich langsam dem Ende. Wir bleiben gemeinsam übers Wochenende in Granada: schöne bunte Stadt, Kirchen, Restaurants und Cafés, Markt und großer Supermarkt.Der See ist ziemlich unspektakulär.Am Sonntag regnet es nonstop und wir sitzen im Hostel fest (wollten eigentlich zur Laguna de apoyo). Becs will noch länger hier in der Partystadt bleiben und so ist es Zeit Abschied zu nehmen – wann wir uns wohl wiedersehen? Mit Ali und Andy ziehe ich weiter nach Ometepe, die Insel mit zwei Vulkanen.Auch hier entkommen wir dem Regen nicht. Einen Vulkan zu besteigen macht da wenig Sinn. Wir machen also kurze Spaziergänge, gehen abends im lokalen Comedor essen und zahlen zusammen nicht mal $7 für leckeres traditionelles Essen: Tamales, Eier, Gallo Pinto (Reis und Bohnen) und Salat.Unser Hostel gefällt uns sehr: viel Farbe, verschiedene Ebenen, viele Naturmaterialien verarbeitet, Malereien an den Wänden, geräumige Küche, Billardtisch, viele Rückzugsmöglichkeiten.Ich lerne Ali and Andy immer besser kennen. Ali ist definitiv die Sensible. Sie liebt es die Geschichten anderer Menschen zu hören, ist neugierig und stellt sich dieselben Fragen über Menschen, denen sie begegnet, wie ich selbst. Die beiden sind super gechillt und schwer aufzuregen. Andy wirkte zu Anfang etwas schroff, geht aber sehr respektvoll mit anderen um und erklärt gerne, nimmt sich dabei Zeit, ist wissbegierig und spielt überragend Billard. Die beiden geben sich das Wort in die Hand, wenn sie ihre Geschichten erzählen, wirken sehr harmonisch miteinander und sind ein schönes Beispiel, dass man diese Art zu leben sehr wohl über Jahrzehnte aufrecht erhalten kann. Es ist spannend, wie sie ihr Reisen möglich machen und sie teilen all diese Erlebnisse miteinander.

Mit Sherry spreche ich zweimal die Woche, ansonst texten wir, aber nicht wirklich oft oder viel. Über einen Monat bin ich nun schon unterwegs. Ich vermisse sie, genieße aber gleichzeitig das Reisen. Das Schöne ist, dass sie mich komplett versteht, mich natürlich vermisst aber sich gleichzeitig für mich freut, dass ich mache, was ich liebe.

Hier ist es so verregnet, dass ich die Schnauze voll habe und kurzerhand meine Pläne ändere. Ganz Zentralamerika erlebt gerade Stürme und ungewöhnlich viel Regen. Mir bleiben nicht mehr viel Zeit, bis ich wieder nach Halifax gehe und ich hab genug vom Nass. Also buche ich (vielleicht überstürzt) einen Flug nach Cancun um von dort auf die Insel Holbox zu gelangen. Becs schwärmt von dem idyllischen Ort, zuverlässig Sonnenschein, whale Shark season, kitesurfing, keine Autos, biolumineszierendes Wasser und mehr. Nicht ganz billig dort, aber ich freue mich drauf. Zudem war ich von Anfang an nicht wirklich scharf auf das touristische Costa Rica.

Bei Dauerregen sitzen wir zu dritt im Hostel: Ali am Tagebuch schreiben, Andy am Laptop und ich an meinen Notizen. Unsere dritte 1Liter-Bierflasche ist leer und wir versuchen jeder für sich voranzukommen. Gleichzeitig tauschen uns aus übers Reisen, wie uns das verändert hat und über Menschen, die wir zusammen kennen gelernt haben.

Dann lässt der Regen nach, Becs stößt zu uns und es gibt ein schönes Wiedersehen. Ich zweifle meine Entscheidung an, nach Mexiko zu fliegen – diese Unentschlossenheit, die sich über viele Monate eingeschlichen hat, macht mich langsam wahnsinnig; zu späterem Zeitpunkt mehr hierzu.Nun heißt es endgültig Abschied nehmen von Becs.

Mit Ali und Andy überquere ich via Bus die Grenze nach San José in Costa Rica, nur ein Zwischenstopp für uns drei. Im Hostel angekommen, nehmen Ali und ich an der walking tour teil, Andy liegt mit Erkältung im Bett.Auf dem Rückweg vergessen wir für mich die Buszeiten zu checken, so dass ich noch mal alleine losgehe, zehn Minuten zu Fuß. Auf dem Rückweg, nur 200 Meter vom Hostel, rennt plötzlich ein Typ auf mich zu, greift mich am Hals, reißt meine Kette ab und rennt weiter… Das Ganze passiert innerhalb von zehn Sekunden, ohne einen Laut. Ungläubig und im Schock blicke ich mich um und laufe weiter. Ein Mann läuft wenige Meter hinter mir und reagiert nicht. Zurück im Hostel breche ich in Tränen aus, ärgere mich über mich selbst, die Kette überhaupt mit auf Reisen genommen zu haben (ein Geschenk von Sherry), hätte ich besser wissen sollen. Andererseits wäre ich am nächsten Morgen alleine zum Busbahnhof gelaufen. Wer weiß, was da vielleicht passiert wäre. Ali nimmt mich sofort in den Arm als ich den beiden erzähle, was passiert ist und sie kümmern sich rührend um mich. Es dauert mehrere Tage bis ich den Schock komplett loswerde.

Abends treffe ich mich mit Aurora, unsere Wege kreuzten sich vor zwei Jahren in Buenos Aires. Sie führt mich aus in ein Viertel mit stylischen Bars.Tut gut abgelenkt zu sein und ich bereue ein bisschen, jetzt doch nicht hier zu bleiben, zweifle meine Entscheidung wieder an, ich bin vollkommen durch den Wind. Sie sagt, ich soll doch da bleiben, kann bei ihr unterkommen und übers Wochenende würden wir dann zusammen an den Strand. Letztendlich bleibe ich bei meiner Entscheidung, abzureisen.

Aurora ist Dozentin an einer Uni für Business English. Wir haben viel gemeinsam, sie macht sich viele Gedanken wie ihr Leben weitergehen soll. Mit den Männern klappt es nicht, manchmal verzweifelt sie an der Unentschlossenheit der Männer. Sie hat hohe Ansprüche, will einen gebildeten Mann, gefühlvoll und Spaß, gibt meinem Empfinden nach zuviel auf einen Titel. Folglich konzentriert sie sich auf sich selbst ohne die Erwartung, dass sich etwas ergibt. Sie sucht eine berufliche Herausforderung und zieht möglicherweise nach London für ihren PhD.

Ankunft in Cancun. Es ist heiß und sonnig – schon mal gut. Ich gehe zum selben Hostel wie letztes Mal – hat sich verändert, mehr Party, nicht mehr so neu, fühlt sich nicht mehr genauso an. Mein rastloses Gefühl ist zurück. Mit drei Leuten gehe ich was essen, der eine Typ quatscht am laufenden Band. Ich brauche Ruhe, bin übermüdet und will hier weg. Ich verdrücke mich aufs Zimmer und werfe einen Blick auf den Kalender. Noch 12 Tage hier, erscheint mir gerade ewig. Im August will ich nach Deutschland, davor noch möglichst viel Zeit mit Sherry und in Halifax mit Freunden verbringen, etwas Geld verdienen. Die Zeit ist begrenzt, irgendwo muss ich kürzen, glaube im Moment besser zu Hause in Halifax bei ihr aufgehoben zu sein, dort gibt es mehr für mich zu tun. Der Schock sitzt mir noch in den Knochen. Ich bin innerhalb der 24 Stunden Frist um den Flug zu canceln und buche um. Neuer Termin ist in vier Tagen. Ich checke am Morgen aus und begebe mich auf direktem Weg Richtung Insel Holbox, meine eigentliche Motivation überhaupt diesen irrationalen Flug nach Mexiko gebucht zu haben. Sobald ich mich auf dem Weg zur Insel befinde, wird mein Kopf ruhiger, immerhin gibt es jetzt kein hin und her überlegen mehr.Und die Insel tut gut: viel viel Sonne, Natur, Sonnenuntergänge, klarer Sternenhimmel, eine Kajaktour, es ist wunderschön bunt hier, Spaziergänge am Strand und ein neues Tattoo. Die Gelegenheit mit dem Tätowierer im Hostel war zu gut. Und nachdem mir meine Kette genommen wurde, ein guter Ersatz. Das Hostel bekommt übrigens einen Platz in meiner top ten Liste, hier müssen Reisende mit Erfahrung am Werk gewesen sein.

Hostel Tribu

Mein Eindruck von Holbox: gutes Reiseziel um den Trubel zu entkommen, bunt, heiß, gutes Essen, gesellig, viele Cafés und Bars, gechillt, überall Sand.

Blick von der Dachterrasse des Hostels

Viele Aktivitäten vor Ort: whalesharks, Flamingos, leuchtendes Wasser, Kitesurfen, persönlich aber kein Ort, wo ich leben könnte.Ich brauche Kultur, Nähe zur Stadt, mein Leute, meine Familie – immer wieder komme ich zu demselben Schluss. Bin ich jetzt nach dem Reisen schlauer als vorher? Ja und nein. Die Beziehung zu Sherry ist mir unglaublich wichtig. Doch wie soll es nach dem Sommer weitergehen? Für uns, für mich, mit dem Reisen, mit der Arbeit.

Bei meinem Zwischenstopp am Flughafen in Chicago erlebe ich dann noch eine riesige Überraschung: ich schlendere zum Gate, von dem mein Weiterflug geht, setze mich und denke im nächsten Moment: die Stimme, die da spricht, kenne ich doch! Ich blicke auf und sehe meinen Cousin Bernd drei Meter entfernt stehen – mit seiner Körpergröße unverkennbar. Unsere Familien sind eng verbunden und wir haben in unserer Kindheit viel Zeit miteinander verbracht. In meinem Gesicht macht sich ein Grinsen breit, ich rufe durch den Raum: „Heah, was machschn du hier?“ Er dreht sich um und ist genauso baff wie ich. Was eine schöne Begegnung.Wesentlich beschwingter verläuft der Rest der Reise und wenige Stunden später lande ich in Halifax.

Tulum, Playa del Carmen, Cancun – Tourihochburg

14 – 21 November 2017

Debbie, meine Reisepartnerin in Bolivien, hatte mich noch vorgewarnt: wenn du nach Tulum gehst, sieh zu, dass du nicht alleine bist, sonst ist das ganz schön depri. Als ich am Dienstag Abend durch die Straßen laufe, weiß ich sofort, wovon sie spricht: hier herrscht Party-Stimmung, der Strand am nächsten Tag, zu dem ich in dreißig Minuten mit einem klapprigen Rad vom Hostel gelange, komplettiert das Bild: am Tag wird an der Bräune gearbeitet, abends vergnügt man sich in den Bars. Angereist bin ich ohne Begleitung, wenn sich also hier niemand Passendes findet, sehe ich mich nicht lange bleiben. Als ich am Mittwoch Nachmittag zurück in mein ruhiges Hostel komme, treffe ich auf Fred (26) und Patrick (36), zwei Brüder aus Brasilien. Ich kann mir nicht helfen, der Akzent ist Musik in meinen Ohren! Beide sind ruhige Typen, aber in diesem Moment ziemlich aufgeregt, da sie ein Spiel ihrer Lieblingsfußballmannschaft verfolgen.

beach Tulum

Am Donnerstag fahre ich mit Fred und Patrick spontan nach Cabo zu den Ruinen. Fred spricht besser Englisch, Patrick fühlt sich in der spanischen Sprache sicherer und so wechsle ich hin und her, was mittlerweile problemlos klappt. Patrick hat sehr stille und nachdenkliche Momente, dann wieder beteiligt er sich mit leuchtenden Augen an unseren Unterhaltungen. Fred dagegen lächelt immer, ist neugierig, hat etwas Reines und bringt mich mit seiner Art, direkte Fragen zu stellen, ständig zum Lachen.

Bevor uns der Bus zurück nach Tulum bringt, vertreiben wir uns die Wartezeit mit einem Bier und Fritten.

Patrick und Fred fahren abends nach Cancun, und bieten mir an, mitzukommen, ich will aber eigentlich noch gar nicht in die Touristenhochburg – die ganzen Erzählungen haben mich ziemlich abgeschreckt. Also verabschieden wir uns, ich fühle mich direkt allein und habe gar keine Lust schon wieder neue Kontakte zu knüpfen. Ohne lange zu überlegen nehme ich den nächsten Bus nach Cancun. Ist doch kacke wieder allein zu sein – mit der richtigen Gesellschaft wird das dort bestimmt halb so schlimm. Patrick holt mich ganz nach südamerikanischer Manier am Busterminal ab und stoppt ein Taxi für uns.

Am Freitag morgen nehmen wir ein colectivo nach Playa del Carmen – der Hauptstrand ist der absolute Albtraum! Hotelbunker, kein Platz, die Leute liegen nebeneinander wie Sardinen, überall nervige Musik. Puerto Escondido war dagegen ein Paradies.

Patrick wird im Laufe des Tages immer stiller, strahlt Unzufriedenheit aus, zieht sich zurück. Fred bleibt ein Sonnenschein, also konzentriere ich mich auf ihn. Ich schmeiß mich weg als er ernsthaft meint, alle Deutschen trinken Bier, tragen Trachten wie auf dem Oktoberfest und haltet euch fest: spielen Akkordeon! Patrick fügt hinzu: außerdem hätten sie keinen Humor, sind zu ernst, diszipliniert und wenn was nicht klappt, ist es gleich ein Drama. Im Laufe des Tages schlägt Patricks Stimmung um und als ich am Abend Fred frage, was los ist, meint er, Patrick bräuchte etwas „alone time“, was ich verstehen kann. Dass er es allerdings dann am nächsten Tag vorzieht, im Hostel zu bleiben, macht mich doch etwas stutzig. Jegliches Verständnis verliere ich, als Fred und ich am Morgen alleine aufbrechen und er beim Verabschieden nicht mal von seinem Smartphone aufblickt.

Mit Fred verbringe ich einen wunderschönen Tag im Fischerdorf Puerto Morelos, welches auf halbem Weg Richtung Playa del Carmen liegt. Der Bus hält an der Hauptstraße und zum Meer laufen wir knapp drei Kilometer, da Fred sich im Gegensatz zu mir nicht traut zu trampen; ihm fehlt das Vertrauen in Fremde – was einem dadurch alles entgeht!

Am ruhigen Strand haben wir mehr als genug Platz und unterhalten uns wie schon gestern über alles Mögliche sehr ehrlich und offen. Dann kommt seine Frage, ob ich zuhause vermisse. Klar bin ich müde, vermisse tiefergehende Gespräche, meine Familie und Freunde, will nicht andauernd von meine Reise erzählen, immer derselbe Smalltalk; will über Beziehungen sprechen, über Sex,… Die Anregung nimmt er sofort auf und beginnt, sehr intime direkte Fragen zu stellen: Auf was stehst du, was hast du schon ausprobiert, wie fühlt sich dies oder jenes an. Seine herzliche und doch ernsthaft interessierte Art macht es mir unmöglich, nicht auf dieses Gespräch einzugehen. Zudem braucht die Welt mehr gute Lover. So teile ich meine Erfahrung mit ihm, wir lachen, was das Zeug hält – man, tut das gut. Ich kenne Fred erst seit drei Tagen und kann doch so herrlich offen mit ihm sein. Später im Bus fügt er noch hinzu, es sei viel besser mit einer Frau über Sex zu reden, da Männer meistens nur angeben wollen und man keine verlässlichen Informationen bekommt. I’m your girl, Fred!

When you open yourself up to the world the world opens up to you. 

Hab keine Angst, dich der Welt zu zeigen. Wir sitzen alle im selben Boot und sehnen uns nach Vertrauen.

Zurück im Dorf essen wir eine Kleinigkeit und sind dann fast etwas spät dran, aber alles noch im Rahmen, denn Fred und Patrick fliegen heute abend noch nach Mexico City. Dementsprechend unruhig ist Fred als wir die letzten Schritte zum Hostel laufen; wahrscheinlich sorgt er sich um die Reaktion seines Bruders.

Patrick, den ich nur noch Mr Grumpy nenne, zeigt nach wie vor übelste Laune und würdigt mich auch bei unserer Rückkehr keines Blickes, was ich extrem befremdlich, fast schon unverschämt finde und so noch nie erlebt habe. Was ist an diesem Typ bitte noch brasilianisch und was für ein Problem hat er eigentlich? Fred hetzt unter die Dusche, um Sand und Salz vom Meer loszuwerden. Komplett sprachlos bin ich, als ich selbst aus der Dusche komme und die beiden verschwunden sind. Hat er Fred doch ernsthaft genötigt, sofort Richtung Flughafen aufzubrechen. Ich sende Fred eine Nachricht, bedanke mich für den schönen Tag und wundere mich noch lange über Patrick.

Am selben Abend wechsle ich das Hostel, was sich als Fehler herausstellt sobald ich das Mehrbettzimmer betrete: dunkel und mit Klimaanlage, Matratzen mit Plastikfolie umwickelt – wie ich das hasse! Man schwitzt und es knistert bei jeder Bewegung! Am liebsten würde ich direkt wieder gehen, bezahlt ist aber schon. Ich fühle mich vollkommen erschöpft, außerdem spielt mein Darm verrückt, kalter Schweiß auf der Stirn und ich frage mich, was ich hier noch zwei Wochen soll – so viel Zeit habe ich nämlich, bis ich einen Flug in Washington DC nehmen muss. Ich treffe eine Entscheidung aus dem Bauch und buche spontan einen Flug, der mich in drei Tagen nach Halifax bringt. Es reicht – ich brauche Geborgenheit und Liebe. Ich vermisse meinen Sport, das Laufen, bin erledigt, mein Körper reagiert. Nach einer kurzen leidenden Nacht mit Krämpfen, Kopf- und Rückenschmerz und arschkalter Klima schultere ich meinen Rucksack auf und laufe zum Hostel Agavero, welches mir schon in Bacalar empfohlen wurde: wäre ich mal besser gleich hierher gekommen! William aus Kolumbien an der Rezeption ist zuckersüß und gibt einem sofort das Gefühl, zuhause zu sein, welches übrigens die einzige und extrem wichtige Regel hier ist: ‚Esta es su casa!‘ Ich kann erst am Nachmittag einchecken, bekomme aber trotzdem schon Frühstück. In der Küche wird an einem großen Tisch serviert, der zur Konversation einlädt. Am Herd steht ein Koch, der jeden verschlafenen Gast einfach bittet, sich zu setzen. Kurz darauf gibt es Orangensaft und er bereitet eine Köstlichkeit zu. Heute gibt es Burritos, für mich in veganer Variante – sehr lecker! Ich fühle mich jetzt schon sauwohl!

William empfiehlt mir den Strand Playa de Delfines, mit dem Bus kommt man da ganz einfach hin; mach ich doch direkt. Ungefähr fünfundzwanzig Minuten dauert es, bis das Colectivo die komplette Hotelpromenade abgefahren ist; ich steige aus, überquere die Straße und schaue aufs Meer – nein, ich starre aufs Meer! Die Farben sind unglaublich! Ich brauche ein paar Minuten um zu realisieren, dass das, was ich hier vor mir sehe, wirklich echt ist: kein Farbfilter, keine Bearbeitung, kein Fake – die Blautöne des Wassers fesseln meinen Blick.

Auf dem feinen Sandstrand suche ich mir einen Platz und mache es mir bequem. Kaum schließe ich die Augen, muss ich sie doch wieder öffnen, um nochmal aufs Meer zu blicken, denn es ist einfach zu schön um nicht hinzusehen.

Ich winke einen Strandverkäufer zu mir und kaufe Obstschnitze mit Salsa und Limonensaft. Die zwei Männer, die sich nicht weit von mir niedergelassen haben, nutzen den Moment und fragen, ob ich ein Bier zu meinem Obst möchte – da sage ich nicht nein. Ein Wort gibt das andere, wir rücken zusammen und so erfahre ich folgendes: beide sind Mexikaner, haben aber lange in den USA gelebt. Einer der beiden, Zinhuet, musste quasi flüchten und seine Familie zurücklassen, bzw wurde er deportiert, da er ein paar krumme Dinger gedreht hat. Abgeschreckt bin ich davon allerdings nicht, denn ich spüre sein gutes Herz und witzig ist er noch dazu. Sein Freund beantragt gerade seine Papiere für den dauerhaften Aufenthalt in Amerika. Beide fühlen sich mehr dort zuhause, da sie nicht viel Zeit ihres Lebens in Mexiko verbracht haben. Zinhuet gesteht mir, dass er dachte, ich wäre eine reiche Amerikanerin, die hier Urlaub macht. Da muss ich lachen: „Hast du mal meine Sachen genauer angeschaut?“ Er: „Du bist weiß und in Cancun, was denkst denn du!“ Als ich ihm von meiner Reise erzähle, erklärt er mich für verrückt und absolut hardcore. Dass ich meine Annehmlichkeiten in Deutschland dafür aufgegeben habe, kann er nicht nachvollziehen.

Es wird spät, Regenwolken ziehen auf, einmal springen wir noch ins Wasser und als der große Schauer vorbei ist, begleite ich die beiden noch zum Abendessen in ein Restaurant nicht weit von meinem Hostel. Zinhuet begleitet mich zurück und würde gerne noch mehr Zeit mit mir verbringen, ich lehne dankend ab.

William zeigt mir mein Bett und ich bin begeistert. Das ist definitiv eines der besten Hostels, in denen ich je war – und wenn ich das sage, könnt ihr mir blind vertrauen! Einladende große Betten mit guten Matratzen und duftenden Leinen, Licht und Steckdose am Bett, dann noch schöne Farbe an den Wänden, hervorragende Situation im Badezimmer, wunderschöne Dachterrasse, Billiardtisch und und und. Hier hat sich jemand Gedanken gemacht! Meine letzten Tage hätte ich so sicher auch noch gut ausgehalten.

Hostel Agavero

Nach veganen Waffeln am Morgen mache ich mich wieder auf an den Strand und treffe dort Leo aus Schweden wieder (Bekanntschaft aus Bacalar). Auch für ihn ist heute der letzte Tag in Mexico, morgen fliegt er nach Brasilien. Als er erzählt, dass er einen Monat in Curitiba verbringen wird, bin ich ganz begeistert, denn die Stadt gehört zu meinen Favoriten.

Gemeinsam mit seinem Reisebuddy Oscar gehen wir abends gemeinsam essen bei idylischer Atmosphäre am Steg. Mit Leo bleibe ich in Kontakt; drei Wochen später schreibt er mir, dass er schon zurück in Schweden ist: Reisefrust, der fast schon einer Depression glich; ich verstehe sofort, was er meint.

dinner and sunset

Zurück zuhause quatsche ich eine Weile mit William, echt schade jetzt, dass ich nicht mehr Zeit habe. Ich verziehe mich früh ins Bett, denn nach wie vor fühle ich mich schlapp und habe meinen ersten Schnupfen von der Klima im vorherigen Hostel. Um vier Uhr morgens teile ich mir mit einer Australierin ein Taxi, mit der ich mir die Zeit am Flughafen vertreibe und erfahre, dass sie auf Privatyachten arbeitet. Sie empfiehlt mir, mich doch auch mal zu bewerben und gibt mir alle Infos. Auf gehts nach Halifax.

Hör genau hin und geh dahin, wo du dich gut fühlst.

Mérida –  unverhofft kommt oft

08 – 14 November 2017

Seit langem habe ich meine Bleibe mal wieder über Couchsurfing gefunden. Seinem Profil nach zu urteilen scheint mein Gastgeber Pepe sportlich und locker und seine Bewertungen sind alle positiv. Als ich abends bei ihm ankomme, öffnet mir ein Typ, der wohl bei ihm putzt. Zwanzig Minuten später taucht sein Mitbewohner auf, der Smalltalk mit mir macht, bevor er zum Yoga geht. Als Pepe selbst eintrifft, wirkt er total müde und wenn ich es nicht besser wüsste, bekifft. Er fragt, ob ich Lust habe, mich noch mit ein paar Freunden zu treffen – klar, warum nicht, ich bin spontan. Der Freund, zu dem wir fahren, wohnt bei seiner Mutter, das Haus ist riesig, drei weitere Jungs hängen in der Küche rum, alle Anfang zwanzig. Zu sechst zwängen wir uns ins Auto, fahren zum nächsten Supermarkt, um Bier und Whiskey zu besorgen. Ich komme mir vor wie in einer amerikanischen Teenager-Komödie. Zurück zuhause wechseln wir in einen abgetrennten Raum, in dem geraucht werden darf – na toll, ich male mir sofort aus wie alles an mir später stinkt. Die Jungs rauchen, trinken, quatschen und hängen immer wieder am Smartphone. Bei mir klopft der Kopfschmerz an. Der Gastgeber verschwindet kurz im ersten Stock und kommt mit einem Päckchen weißem Pulver zurück – ernsthaft? Jetzt wird also auch noch gekokst. Für ne ordentliche Line wird sich allerdings keine Zeit genommen, sondern reihum mit den Autoschlüssel geschnieft – die Jugend von heute, das kenn ich noch anders. Ich lehne dankend ab und nachdem ich mir das Ganze noch zehn Minuten anschaue, bitte ich Pepe mich heimzufahren, denn das wird hier offensichtlich eine lange Nacht und mein Kopfweh macht sich breit. Mit Bier in der Hand fährt er mich heim. Frustriert über die negative Erfahrung schlafe ich ein mit dem Gedanken: ich bin zu alt für so nen Scheiß!

Am nächsten Morgen steht für mich fest, hier kann ich nicht bleiben, also suche ich mir online ein Hostel, schreibe mit letzter Hoffnung allerdings noch einem anderen Couchsurfer, Carlos, der direkt antwortet und darauf besteht, dass ich zu ihm komme, obwohl er gerade zwei weitere Gäste hat. Ich kann in der Hängematte schlafen, wenn es mir nichts ausmacht. Einmannzelt zu zweit, Parkbank, Hängematte – kein Problem für mich! Hängematten sind zudem wirklich bequem. Ich hinterlasse eine Notiz für Pepe (und höre nie wieder von ihm), nehme ein Taxi in die Stadt und vertreibe mir den Nachmittag im Restaurant Avocado in der Innenstadt. Was ich bisher von Merida gesehen habe, gefällt mir gut, die Stadt hat mediterranes Flair.

Carlos Wohnung liegt nur ein paar Gehminuten entfernt und als ich am Abend vor seiner Tür stehe, empfängt er mich mit freundlichem Lächeln und gibt mir gleich das Gefühl, mich ganz zuhause zu fühlen. Ich treffe außerdem auf Miriam und Thomas aus der Schweiz: seit 21 Monaten sind sie unterwegs im umgebauten Mercedes Bus und stecken gerade hier in Merida fest, da ihr Fahrzeug seit Wochen in Reparatur ist und alles ewig dauert. Carlos ist auch für sie eine Art Retter in der Not, da sie sonst für mehrere Wochen im Hostel Geld bezahlen müssten.

Nachdem ich kurz mein Erlebnis mit Pepe schildere, gehe ich mit Carlos direkt ein Bier trinken, bin aber schon ganz gespannt auf die Erlebnisse von Miriam und Thomas. So ergibt es sich, dass wir die folgenden Tage komplett zusammen verbringen. Ich bin so gar nicht interessiert an den Touristenattraktionen hier sondern genieße einfach nur die angenehme Gesellschaft der beiden. Wir bummelm gemeinsam durch die Stadt, schlendern über den Markt, fahren einen Tag mit Carlos Mitbewohnerin an einen nahegelegenen Strand und suchen an den Nachmittagen interessante Bars auf, die zu jedem Getränk Tapas, hier Botanas genannt, servieren. 

cerveza, botanas y mercado

beach day!

Wir quatschen am laufenden Band, tauschen uns über unsere Reiseerlebnisse aus, stellen Unterschiede mit seinen Vor- und Nachteilen in der Art des Reisens heraus, was hat uns zum Reisen bewegt, was inspiriert uns, wo sehen wir uns in ein paar Jahren. Gesprächsstoff geht uns nie aus, ich fühle mich sehr wohl mit den beiden und finde ihre Geschichten überaus spannend, da ich eines Tages auch mit dem Auto unterwegs sein möchte. Thomas Humor ist erfrischend, Miriam ist eine sanfte Seele, beide sind wie ich unkompliziert und ich fühle mich durch die Begegnung mit ihnen bereichert. 

Nach einer gemeinsamen Woche ist der Bus endlich repariert und wir verlassen Merida am nächsten Morgen. Miriam und Thomas steuern Oaxaca an, für mich geht es nach Tulum.

Mein Gemütszustand: allerlei Optionen, wo es nach Mexiko hingehen könnte, springen in meinem Kopf umher.
Mit Robyn verabrede ich, ein paar Tage nicht zu sprechen um Raum für Fragen zu öffnen, wie es weitergehen soll. Zur Erklärung: da ich nicht vorhabe, in naher Zukunft mein Leben in Deutschland fortzusetzen und mir in ein paar Monaten das Geld ausgeht, brauche ich langsam aber sicher einen Plan, wie wieder etwas Geld reinkommt. Manchmal warte ich nur darauf, dass sie sagt, sie hat keine Lust mehr auf diese Ungewissheit. Aber Hut ab, sie genießt den Moment, versucht nicht an morgen zu denken.
Ich spüre, dass ich momentan einen stabilen Ort brauche zum Ausruhen, Kräfte sammeln, Erlebnisse verarbeiten, routinierte Abläufe, um wieder Neugier auf unbekannte Welten zu wecken. Dabei mehr Zeit mit Robyn zu haben, ist ein schöner Gedanke. Sollte ich zurückkommen, kann ich ihr nicht versichern, im Sommer zu bleiben und glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich weiter will. Ist sie gewillt das einzugehen? Eine Garantie gibt es ja sowieso nie.

Stop being afraid of what could go wrong, and start being excited about what could go right.

Bacalar – der 7-Farben-See

04 – 08 November 2017

We all have slow days, off days, days we feel tired or uninspired, but they are nothing to concern yourself with. Like the ocean, the stillness is just another of our natural states. soon, the winds will pick up, the waves will rise, and your imagination will flow again. Beau Taplin. Creative Block

Mein Nachtbus erreicht um halbdrei Uhr morgens das kleine Dorf Bacalar. Ich laufe durch die stille Nacht Richtung Hostel Yak Lake, welches direkt am See liegt. Im Vorfeld hatte ich angefragt, ob ich mitten in der Nacht aufkreuzen kann, worauf ich die Antwort bekam, vor sechs Uhr eine weitere Nacht buchen zu müssen, was ich gar nicht einsehe. An der Straße am See finde ich ein paar Parkbänke und entscheide kurzerhand, hier zu warten. Der Ort wirkt friedlich und sicher, ich krame meine Stulpen aus Bolivien, Kaputzenpullover, Schal und mp3-Player aus meinem Hab und Gut, bette meinen Kopf auf meinem kleinen Rucksack und blicke in einen klaren Sternenhimmel – mit Musik im Ohr schwebt mein Geist in einen leichten Schlaf. Kurz vor sechs packe ich meine Sachen und laufe die letzten Meter zum Hostel, wo ich als allererstes ein großes einladendes Sofa erblicke, auf dem ich die letzten Stunden genausogut hätte verbringen können, was mir später einer der mexikanischen Angestellten bestätigt, der mich auf der Parkbank liegen sah. Die Lage direkt am See ist ein Traum, mit der Terrasse, dem Steg ins Wasser und der hochwertigen Einrichtung wundert es mich nicht, dass der Preis pro Nacht über dem Durchschnitt liegt.

mein Schlafplatz in der ersten Nacht

Abgesehen vom See und ein paar Cenoten gibt es hier nicht viel zu tun. Ich bleibe dennoch ganze vier Tage, denn mein Geist braucht Ruhe und zum Entspannen ist dieser Ort ideal. Somit beginne ich die Tage mit meinen Übungen und Meditation in den Sonnenaufgang am Ende des Stegs und schlage mir danach den Bauch voll mit dem üppigen Frühstück des Hostels: Bananen, Äpfel, Melone, Ananas, Papaya, Granola, Cereals, Toast – von allem ist mehr als genug für alle da, was in vielen Hostels leider nicht selbstverständlich ist. 

Um mich herum höre ich alle deutsch oder englisch sprechen, was mich ziemlich abturnt. So langsam komme ich auch drauf, was mich genau stört: wer hier einfach ein paar Wochen mit Freunden verbringt, Orte abhakt, Sonne tankt und dann wieder nach Hause fliegt, ist hier genau richtig. Ich dagegen suche nach Austausch mit Kultur und Sprache, Kontakt mit Einheimischen – hier sehe ich eine klare Trennung zwischen den Mexikanern als Dienstleister und den Touristen  – vor meinem Hintergrund und momentanen Bedürfnissen bezweifle ich somit gerade täglich, am passenden Ort zu sein. Mit diesem Gefühl halte ich mich zunächst aus allen Konversationen heraus, letzten Endes finde ich mich aber doch inmitten interessanter Gespräche und neuer Bekanntschaften:

Sue aus Köln macht ein paar Wochen Urlaub, hat wie ich zuviel vom deutschen Winter und sieht sich irgendwann als digitale Nomadin im Ausland arbeiten. Mit ihr mache ich eine zweistündige Bootstour über den See, die uns zu Cenoten und schwefelhaltigem Schlamm führt, den sich trotz des Geruchs nach verfaulten Eiern jeder auf die Haut schmiert, weil es gutes Peeling sein soll.

Leo aus Schweden: anfang zwanzig, blond und helle Augen, trockener Humor ganz nach meinem Geschmack, dahinter spüre ich eine feine sensible Art. Ganz unerwartet sitze ich eines Abends mit ihm alleine auf der Terrasse als sich alle anderen schon früh ins Bett verabschiedet haben. Nach einem Monat in Jamaika ist er jetzt seit ein paar Wochen in Mexiko und hat vor, noch mindestens bis Mitte nächsten Jahres unterwegs zu sein, nächstes Ziel Brasilien. Er beginnt, von seiner Arbeit, seinem Leben und seiner Familie zu erzählen und offenbart bewegende und traurige Momente, die in mir den Impuls wecken, ihn einfach zu umarmen. Ganz überrascht von sich selbst, dass er sich mir anvertraut, bedanke ich mich und bestärke ihn darin, seine Geschichte zu teilen, da es ihm mehr Tiefe verleiht und er so auch sein Gegenüber dazu bringen kann sich zu öffnen, was wundervolle Verbindungen ermöglicht.

Abgesehen von meiner täglichen Routine teste ich mit Sue, Leo und drei weiteren Backpackern an einem Abend das Essen im überaus gelobten veganen Restaurant Mango y Chile, was uns mit dem ersten Biss in Burger und Tacos sofort überzeugt. Ich spiele Karten mit Australiern, die als Freunde zusammen reisen und beneide sie um ihre Gesellschaft miteinander, da mir vertraute Menschen zum zusammen erleben momentan sehr fehlen.

Der Blick in die Zukunft mit all seinen Optionen und Möglichkeiten überwältigt mich zuweilen: zu spüren, dass alles möglich ist und man seine Welt selbst kreieren kann, es in der Hand hat, wohin der Weg gehen soll, wirkt einerseits aufregend und euphorisierend; andererseits stresst mich die Qual der Wahl und ich frage mich, ob ich auf hohem Niveau jammere. Aber es kann einen bis zur Verzweiflung treiben, den Weg nicht klar vor sich zu sehen. Das Privileg von so viel Freiheit kombiniert damit, aus bequemen Routinen auszubrechen und sich allerlei neuen Ideen und Lebenskonzepten gegenüber zu öffen, kann einem den Atem rauben und man findet sich in einem Zustand von Orientierungslosigkeit. Wichtigster Kompass in all dem Wirrwarr: das Gefühl!

Weit außerhalb der persönlichen Komfortzone spricht das Herz lauter als gewohnt und ist der zuverlässigste und wichtigste Ratgeber des Lebens.

San Cristobal und Palenque, Chiapas – Vertiefung einer neuen Freundschaft

30 Oktober – 03 November 2017

Nachdem ich einmal mehr eine Nacht im Bus verbringe, komme ich am späten Montag Vormittag in San Cristobal an. Das Hostel La Isla ist mit viel Bedacht eingerichtet und man spürt, dass hier wirklich jemand wohnt. So haben sich ein paar junge Argentinier zusammengetan und diesen Ort kreiert, in dem sie leben und arbeiten. 

Katzen geben dem Haus eine Seele

Nach dem Check-in erkunde ich das charmante Städtchen, schlendere zum Markt, kaufe Guabas, eine meiner Lieblingsfrüchte hier im Süden und probiere Streetfood.

Chloe kam schon gestern aus Oaxaca an und so treffe ich sie am Abend in der gut besuchten Weinbar La Vina de Bacco in der belebtesten Straße Real de Guadelupe: ein gutes Glas Wein bekommt man hier ab 20Pesos und mit jeder Bestellung werden sogar noch ein paar Tapas serviert. Dementsprechend brummt der Laden. Ich freue mich riesig, Chloe wiederzusehen und wir umarmen uns innig. Ihr könnt euch wahrscheinlich schon denken, was jetzt passiert: ich bin mit Chloe in einer Weinbar – da kann ich nun wirklich nicht nein sagen, wann bekommt man in Mexico schon mal so günstig guten Wein. Chloe amüsiert sich köstlich, dass sie bisher bei all meinen Ausnahmen anwesend war, hier die aktualisierte Liste, wann gebrochen werden darf mit der Abstinenz: tastings, when it’s free, sunset, Weinbar, last night (steht noch aus)

Am nächsten Tag nehmen wir an der walking tour teil, welche sich nach erster Skepsis als sehr empfehlenswert herausstellt: es gibt viel Essen zum probieren, der Guide führt uns zu interessanten Ecken und ihm liegt viel daran, uns bei Laune zu halten. Zum Abschluss probieren wir Posch, Hochprozentiges gebrannt aus Agave, danach landen wir wieder in der Weinbar.

Dia de los muertos – Straßenumzug

Bevor sich unsere Wege entgültig trennen, verbringen Chloe und ich einen letzten gemeinsamen Tag: wir gehen zurück an bestimmte Orte der walking tour, die wir uns nochmal in Ruhe anschauen möchten, blicken in Hinterhöfe, bummeln ein wenig und machen eine Pause bei Kukulpan, eine Bäckerei zum dahinschmelzen.

Am Nachmittag fahren wir anlässlich des „dia de los muertos“ zum Friedhof: traditionell wird der Totentag hier groß und bunt gefeiert, was für uns aus dem Westen sehr befremdlich sein mag, aber eigentlich von viel mehr Akzeptanz gegenüber dem Kreislauf des Lebens zeugt und mit positiven Gedanken und heiterer Stimmung an die Verstorbenen erinnert wird. Der Friedhof selbst wirkt wie eine kleine Stadt und nicht ganz so bunt aber ähnlich kenne ich das aus Buenos Aires. Wir beobachten Menschen, die beim Essen zusammensitzen, lachen, es gibt Musik und Straßenverkäufer. An die Totenköpfe überall gewöhnt man sich übrigens schnell und sie sind jetzt für mich wesentlich positiver konnotiert als zuvor.

Wir gönnen uns ein Dinner im traditionell mexikanischen Restaurant La Lupe mit anschließendem Kino in der Bar Kinoki um die Ecke – jeden Abend werden hier Dokus oder mexikanische Filme gezeigt und es gibt sogar kleine Kinoräume, die man privat mieten kann. Vor dem Schlafengehen heißt es Abschied nehmen, denn Chloe’s Bus nach Guatemala geht im Morgengrauen. Zu gerne würde ich sie noch länger an meiner Seite behalten; sie kennenlernen zu dürfen, war die Reise nach Mexiko schon wert.

letzter Abend mit Chloe

Für mich selbst geht es erst einen Tag später weiter: Zeit für Organisation, Blog und in mich hören. Mein Gemütszustand: ich empfinde es als anstrengend, dauernd neue Leute kennen zu lernen und sich an fremde Orte zu gewöhnen. Außerdem nerven mich die vielen Touristen hier. Wirklich mit den Mexikanern in Kontakt zu kommen, gestaltet sich schwierig, da die Beziehung zueinander mehr als Serviceleister und Kunde definiert ist. Mir fehlt der Aspekt, selbst zu erkunden, alles ist schon da und vorgegeben. In Südamerika war das so ganz anders, die Interaktion mit den Menschen dort war wesentlich intensiver, was mir einmal mehr bewusst macht, dass mein Herz in Brasilien und Chile hängt. Ich akzeptiere meine momentane Unentschlossenheit und vertraue darauf, dass irgendwann alles klar vor mir liegen wird.

Wer in Mexiko reist, kommt an Ruinen und Tempeln kaum vorbei und so lege ich auf dem Weg an die Ostküste einen Zwischenstop in Palenque ein: morgens um vier werde ich am Hostel eingesammelt. Die Tour führt über beeindruckende Wasserfälle zu den Ruinen in Palenque. Guide suche ich mir keinen, nehme mir aber Zeit für die Schilder mit Infos auf dem Gelände. Brutal heiß ist es hier! Am selben Abend reise ich im Nachtbus weiter nach Bacalar.

Ruins of Palenque

Der Kopf muss lernen loszulassen. So kann die Seele wieder atmen und das Herz wieder zur Ruhe kommen.

Puerto Escondido – beach time! 

20 – 29 Oktober 2017

30 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit und direkt am Meer: da steigt meine Laune ganz automatisch mit Vorfreude auf den Strand. Unser Hostel Casa Losodeli liegt nur zehn Gehminuten entfernt. Wir werden freundlich empfangen und in unser Zimmer geführt, welches direkt hinter dem Pool liegt, dessen Anblick mir ein ‚wow!‘ entlockt. Der ist ja groß genug zum schwimmen – geil!

Wir legen ab und wollen direkt wieder los, unseren Hunger stillen. An der Bar des Hostels treffen wir auf Andrea: groß, schlank, braun gebrannt, blondes Haar, welches er mit einer Kappe verdeckt und viele viele Tattoos. Seine hellen grünblauen und doch sanften Augen stechen hervor. Wir fragen nach unserem Willkommensdrink, den man uns an der Rezeption angekündigt hat – Meskal. Da haben wir jetzt gar keine Lust drauf, also fragen wir ganz nett, ob wir gegen ein Bier tauschen können. Erst da meint Chloe: oh Sarah, you can’t drink! Hab ich das doch komplett vergessen – mein alkoholfreier Monat! Da wir aber gerade so in Stimmung sind, legen wir grinsend mehr Ausnahmen fest: Tasting und wenn es kostenlos ist – Prost! Wir schlendern die breite ruhige Straße Richtung Meer entlang, die gesäumt ist von Cafes, Bars, Restaurants und ein paar Surferläden. Letztendlich endscheiden wir uns für ein Restaurant mit einer Art Biergarten in sanftem Schein von Lichterketten: Tacotime! wir freuen uns auf ein paar Tage Strand und Pool.

Ich mag Chloe mit jeder Stunde, die wir uns annähern, mehr: sie ist entzückend, entspannt und für ihre 27 Jahre hat sie viel erlebt. So reiste sie vor vier Jahren nach Vietnam, kaufte sich spontan ein Motorrad und fuhr damit von Norden nach Süden – ich bin beeindruckt! Sie spielt wohl verdammt gut Geige, zu gern würde ich sie mal spielen hören.

Hostel Losodeli

Mein Geist kommt langsam aber sicher zur Ruhe: Routine am Morgen auf dem Dach mit Übungen und Meditation in den Sonnenaufgang, eine halbe Stunde schwimmen – so beginnt der Tag doch schon viel energievoller. Die Meditation lässt mich wieder spüren, dass es nur hier und jetzt gibt, alles andere ist Hirngeficke.

Meditation in den Sonnenaufgang

Sonnenuntergang – Blick vom rooftop

Ich habe entschieden, keine Volunteerarbeit zu machen und Chloe nach San Cristobal zu folgen: gute Menschen sollte man um sich behalten und sie tut mir gut, warum also früher trennen als es sein muss.

Hier im Hostel lerne ich eine weitere coole Chica kennen: Kyra aus der Schweiz: Anästhesistin mit dem Privileg von vier Monaten Urlaub im Jahr, während denen sie durch die Welt surft, den besten Wellen auf der Spur. In ihr Auto hat sie sich ein Bett gebaut und ist an die besten Surfspots in Südeuropa gefahren. Sie ist sehr direkt und aufgeschlossen, was mir gefällt, ihre Stimme hört man schon von weitem. Wie ich ist sie mehr oder weniger ewig Single und will sich nicht einengen lassen, Wassermänner eben – sie inspiriert mich mit der Autogeschichte, früher oder später muss ich das auch machen. Als ich ihr von meiner Lebenssituation berichte, schlägt sie vor, in der Schweiz zu arbeiten. Zeitarbeit mit hohem Verdienst für sechs Monate im Jahr ist da Gang und gebe – ihre Tür ist immer offen für mich. Zu meiner Schwierigkeit mit Entscheidungen sagt sie: kein Stress machen und Zeit festlegen, in der einfach mal nichts entschieden wird – guter Tipp! Gerne hätte ich mehr Tage mit ihr verbracht, doch sie reist wegen gebrochener Rippen zwei Monate früher als geplant wieder nach Hause. An einem Abend schauen wir uns allerdings noch alle gemeinsam den Sonnenuntergang am Meer an – Ausnahme Nummer 3 für Bier.

von rechts: Kyra, Chloe, ich, Andrea und drei weitere Schweizer

Sonnenuntergang am Playa Coral

Chloe geht nach vier Tagen zurück nach Oaxaca, ich bleibe hier und wir werden uns in San Cristobal wieder treffen. Heute morgen läuft Julio Iglesias, was mich gleich in gute Stimmung bringt, ich mag seine Schnulzen, erinnert mich an die Sommer in Frankreich.

Andrea, der Barkeeper, muss nur abends arbeiten und so verbringen wir die Tage miteinander am Strand oder am Pool und kochen abends gemeinsam. Der kleine versteckte Strand Playa Coral, zu dem man in zehn Minuten radelt, ist ein unberührtes Paradies.

Playa Coral

Baby-Schildkröten auf ihrem Weg ins Abenteuer Leben

Schlendern am Meer mit Andrea

Andrea ist übrigens auch Schweizer und sein Land war hier zeitweise mit sieben Leuten vertreten, was sogar die deutschen Reiseweltmeister getoppt hat. Ich mag seine ruhige entspannte Art. Tief beeindruckt bin ich von seinem Erfolg dieses Jahr: er lief in dreieinhalb Monaten den Pacific Crest Trail, der im Westen der USA von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze führt und knallhart ist (mein Filmtipp hierzu: „Wild“ mit Reese Witherspoon). Bei einem Abendessen vertraut er mir seine ganze Geschichte an und in dem Moment verstehe ich, weshalb er nun die Stille und Ruhe sucht. Details kann ich ausnahmsweise nicht preisgeben, versprochen ist versprochen. Sein sensibles Wesen habe ich von Anfang an wahrgenommen, jetzt bekommt das Ganze Tiefe! Welch gutes Beispiel, wie vielschichtig wir doch sind – ich bin dankbar für sein Vertrauen.

Die Ruhe hier ist herrlich, genau das, was ich gerade brauche! Mein Kopf schaltet endlich mal wieder ab, auch wenn irgendwo die Frage herumschwirrt, wie ich denn nach Weihnachten weitermachen will. Eine klare Antwort habe ich noch nicht parat, aber ich spüre: 

Alles ist möglich, wenn ich den Weg erst einmal klar vor mir habe. Dann werden Energien freigesetzt, welche auch die verrückteste Idee erfolgreich in die Realität umsetzen.

Mexico City – bereit für die Weiterreise?

09 – 16 Oktober 2017

Eventually all things fall into place. Until then, laugh at the confusion, live for the moments, and know everything happens for a reason.

Früher oder später fügen sich die Dinge. Bis es soweit ist: lache über die Verwirrung, lebe die Momente und sei dir sicher, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert.

Der Flieger hebt ab nach Mexiko City – um meinen Sitznachbarn nicht mit einem Heulanfall in Verlegenheit zu bringen, reflektiere ich über all das Positive, was Robyn in meine Welt gebracht und mich über mich selbst gelehrt hat: ich kann einfach ich sein, sie entspannt mich und hat etwas inspirierendes. Ich muss nicht mehr oder weniger für den anderen zeigen als ich wirklich empfinde. Es geht um den Geist, das Herz, den Austausch, die Inspiration.

Gegen Mittag mexikanischer Zeit landen wir und ich will gerade Richtung Ausgang laufen, als mich Nick auf meine Yogamatte anspricht: längeres blondes Haar, groß, gutaussehend, Hippietouch. Nach ein paar Sätzen drückt er mir die Adresse für das bekannteste Retreatcenter ‚Hridaya‘ hier in Mexico in die Hand. Er spürt wohl, dass ich gerade ziemlich durcheinander bin. Aufgewachsen in Kanada, hält er sich momentan hauptsächlich in Indien auf um sich weiterzubilden, arbeitet aber auch mit dem Yoga- und Meditationsstudio hier in der Stadt; gerade reist sein Vater mit ihm, der frühzeitig in den Ruhestand ging um mehr vom Leben zu haben; beide scheinen sehr spirituell unterwegs. Ich springe mit den beiden ins Taxi und begleite sie zum Yogastudio, wir gehen essen, der Vater lädt ein. Erst gegen Abend mache ich mich letztendlich auf den Weg zu meinem Hostel ‚Massiosare‘, welches zentral, allerdings im vierten obersten Stock liegt – kein Wunder, dass es so günstig ist bei all den Stufen; nettes Personal und Dachterrasse. Da es schon relativ spät ist und dämmert, laufe ich noch schnell zum nächsten Supermarkt und dann auf direktem Weg wieder zurück, denn die Gegend scheint bei Nacht unsicher. Da ich nicht in der Stimmung bin für Austausch mit anderen, schaue ich im Netz nach einer free walking tour für den nächsten Tag – die sind immer gut um einen ersten Überblick zu bekommen. Dann macht sich ein Kopfschmerz breit, der sich ohne Tabletten nicht mehr vertreiben lässt. Tage später wird mir bewusst, dass mein Körper auf die Höhe hier reagiert hat: Mexico City liegt immerhin auf 2250 Metern.


Bellas Artes

Obwohl ich mich nur schwer aufraffen kann, die Stadt alleine zu erkunden, fülle ich meine Tage unter anderem mit Besuchen in interessanten Museen:

  • Frida Kahlo Haus: 25 Jahre lebte sie hier mit ihrem Mann Diego Rivera. Man bekommt einen Einblick in deren tägliches Leben, in Fridas berührende Lebensgeschichte und natürlich in die Kunst.

La Casa Azul de Frida Kahlo y Diego Rivera

  • Museo Soumaya: unter anderem mit Skulpturen von Rodin (einer meiner Schwerpunkte im Kunstleistungskurs damals) und einem ganzen Stockwerk über Venedig. Die Architektur des Gebäudes ist spektakulär.

  • Museum of Modern Art: Fotografie (dafür bin ich immer zu haben) und eine Ausstellung zu hundert Jahre Schweizer Design, welche mich amüsiert, da die Gegenstände so vertraut sind: alte Swatch-Telefone, Designermöbel, Sportausstattung, Taschen, Sonnenbrillen.

Ich schlendere durch Stadtviertel wie Condesa und Roma, die einen vergessen lassen, dass man sich inmitten einer der größten Metropolen der Welt befindet: stilvoll angelegt, überall grün, kleine Cafes, ruhig. Zwischenstopps an veganen Foodtrucks geben den Weg an, was bei dem riesigen Angebot hier kinderleicht ist. Ich besuche Märkte, finde einen besonderen Buchladen und beobachte Menschen, die mir auf der Straße begegnen.

Mein Eindruck von der Megastadt: überall streetfood, die Schärfeauswahl genau nach meinem Geschmack, Tacos für 15Pesos (=0.7€), saubere Straßen, bunte Häuser, hippe Stadtviertel, Plakatwerbung mit weißen Menschen, die komplett am typischen Mexikaner vorbeigeht. Getrennte Abteile in der Metro für Männer und Frauen/ Kinder zum Schutz der Frauen – es gab wohl ein paar Fälle von Übergriffen, Smog, Neugier der Leute. Vom ersten Moment an komme ich mir vor wie ein bunter Vogel: alle starren mich an mit meinen hellen Haaren und größer als die meisten Mexikanerinnen bin ich auch.

Mit Francesco, dem Führer der walking tour gehe ich an einem Abend aus: wir starten in einer kleinen Bar und enden auf einer Dachterrasse gegenüber des Palast Bellas Artes, wo Salsa getanzt wird, er stellt sich als verdammt guter Tänzer heraus und schwingt mich gekonnt über die Tanzfläche. Ich trinke viel zu viel Bier, Francesco begleitet mich zu meinem Hostel, wobei wir auf sein Anraten die verlassenen dunklen Straßen meiden und beim Abschied startet er noch einen Annäherungsversuch.

Am nächsten Morgen wechsel ich das Hostel, denn mit den wackeligen Stockbetten im 13er Zimmer schlafe ich beschissen. In meiner neuen Bleibe Hostel Gael ist die Bettensituation hervorragend: Einstieg am Fußende, wie kleine Kabinen, viel Privatsphäre, gute feste Matratze, Kopfkissen besteht den Test auch – ich schlafe tief und fest in den Tagen hier.

Außerdem entscheide ich, einen alkoholfreien Monat einzulegen: schon seit langem scherze ich, dass ich während meiner Reise zum Alkoholiker geworden bin. Tatsächlich gab es nur selten Tage, ich denen ich nicht mindestens ein Glas vor mir hatte und der Abend mit Carola hat mich nachdenklich gestimmt, ich vertrage zuviel! Zu späterem Zeitpunkt mehr dazu, wie schwer sich dieses Vorhaben als Reisender verwirklichen lässt.

Mein Gemütszustand: hätte ich nicht doch länger in Nova Scotia bleiben sollen? Was hat mich da nur getrieben? Ich fühle mich einsam, hätte gerne einen Freund hier um Mexiko gemeinsam zu erleben; sehne mich nach Intimität, Vertrauen, Freundschaft, Lachen, Liebe und Austausch von Gedanken. Jede Woche neue Bekanntschaften schließen, die immer mit demselben Smalltalk beginnen: wo kommst du her, wie lange reist du schon, wo warst du schon, wie war es da, wo gehst du hin? Unter all diesen Begegnungen finde ich natürlich immer wieder Persönlichkeiten, die ich direkt ins Herz schließe, näher kennen lernen möchte, die mich zum Lachen bringen. Wenn es gut läuft, kann man ein paar Wochen gemeinsam verbringen, meist sind es aber nur ein paar Tage, dann trennen sich die Wege, es heißt Abschied nehmen und das Spiel geht von vorne los. Aber ich bin gerade satt, nicht wirklich aufnahmefähig. Ja, ich bin Abschiede gewohnt, aber einfacher wird es deshalb nicht! Vielmehr weckt es die Sehnsucht wieder tiefere Verbindungen zu erleben.

Kann ich Mexiko überhaupt genießen in diesem Zustand? Ich suche nach Flügen zurück nach Halifax. Da es allerdings nicht in meiner Natur liegt, schnell aufzugeben und ich oft den bekannten harten Weg wähle – alles andere scheint zu einfach – will ich mir ein paar Wochen Zeit geben, in mich hinein hören, sehen wie sich mein Gefühl entwickelt. Dazu brauche ich eine ruhigere Umgebung, weshalb ich Mexico City nach einer Woche verlasse.

Jede Phase unseres Lebens lehrt uns etwas Wertvolles. Ob wir bereit sind zu verstehen oder nicht, liegt an uns.