29. April – 08 Juni 2019
Meine Reise beginnt wie so oft bei Carola in Virginia.Während ich auf meinen Flug warte, telefoniere ich mit Mama, erzähle ihr von meinen schweren Wochen, meinen Gefühlsschwankungen. Mit ihr zu sprechen, tut gut.
Kaum bei Carola angekommen, ist es unterhaltsam wie immer, wir verstehen uns blind. Das Wetter spielt auch mit: 27 Grad, Sonne, Pool – überragend! Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Carola meinte schon vor Jahren zu mir, dass das Klima hier perfekt ist: die Sommer werden schön warm und im Winter gibt es richtig Schnee. Bisher muss ich ihr recht geben.
Die ersten Tage ohne Sherry fühlen sich seltsam an. Unsere Beziehung hat sich aufgebaut aus ständiger physischer Nähe, zusammen leben und arbeiten. Sie fehlt – nach der extremen Nähe nicht verwunderlich.
Ich gehe jeden Morgen laufen und denke viel über mich und meine Beziehung zu Sherry, einer Frau, nach. Ich spüre ein Wir-Gefühl, Vertrauen, fühle mich gut aufgehoben, bin nicht wie so oft vorher in meinem Freiheitsgefühl eingeschränkt, alles läuft ungewohnt harmonisch. Wie man vielleicht vermuten würde, habe ich allerdings nicht plötzlich das Ufer gewechselt. Ich war offen für etwas Neues, Sherry ist eine verdammt coole Frau und so hat sich mehr zwischen uns entwickelt. Carolas Mann reagiert auf meine Zerrissenheit mit folgendem Gedankenanstoß: „Du musst dich fragen, was brauche ich im Leben unbedingt und was hätte ich gerne. Und dann stell sicher, dass du Ersteres hast.“Wie immer genieße ich die Zeit hier mit den Kindern, Payti wird von Tag zu Tag kuscheliger. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch Kinder will, aber jetzt noch dieses Fass aufmachen… Als hätte ich nicht schon genug zu entscheiden. Die Tage vergehen schnell. Ich verbringe den Alltag mit Carolas Familie, wir haben viel Zeit zum Reden und entpflanzen einen toten Baum in deren Garten. Carola weigert sich nämlich, jemanden für die Arbeit zu bezahlen und ein kleines bisschen will sie auch ihrem Mann beweisen, dass wir das alleine hinbekommen. Nach den ersten Hieben mit Hacke und Schaufel regt sich kaum etwas und ich bin etwas entmutigt, doch Carola ist fest entschlossen – unbeirrt hacken, graben, rütteln und schaufeln wir – als das Ding dann endlich nachgibt, sind wir mächtig stolz!
Nach einer knappen Woche ist es Zeit Abschied zu nehmen und ich trete meinen Flug nach Managua an. Zu später Stunde Ortszeit lande ich in der Hauptstadt, nehme ein Taxi zum Hostel und bin überrascht, wie heiß es hier nachts noch ist. Am nächsten Tag gehe ich es langsam an, denn zu sehen gibt es hier eh nichts und mein Körper ist am akklimatisieren, ich bin am Dauerschwitzen. Eine Runde laufe ich aber doch durch die Stadt, um irgendetwas gemacht zu haben. Die Hitze ist pervers.

Fruchtsaft ‚to go‘
Ruth vom Hostel ist gesprächig, gibt mir Tipps für meine Reise und macht mir am Abend veganes Essen. Ich treffe auf Josh (USA) und Tomo (England) und wir gehen ein paar Bier trinken. Am nächsten Morgen nehme ich den Bus nach Leon.
Hier ist es wesentlich bunter und schöner, mehr so wie ich Städte in Lateinamerika gewohnt bin.

Auf dem Dach der Kathedrale von León
Das Hostel ist super schön mit offenem Innenbereich und vielem, was ein gutes Hostel ausmacht: gut ausgestattete Küche, viele Chill-Bereiche, Picknickbänke im Essbereich und komfortable Betten.
Ich nehme an der Walking tour am Nachmittag teil und lerne viel über die Geschehnisse hier letztes Jahr: Demonstrationen wegen einiger Unzufriedenheiten mit der Politik, welche gewaltsam niedergeschlagen werden. Über 800 Menschen wurden bisher getötet, in den ersten zwei Monaten verlassen über 42.000 Menschen das Land. Der alleinige Grund, warum es jetzt ruhig ist, ist Angst – gelöst ist nichts.
Abends koche ich im Hostel, quatsche mit ein paar Leuten.Donnerstag steht Volcano Boarding auf meinem Programm. Ich entscheide mich für eine Organisation, die Geld für Projekte einsetzt, die der Kommune helfen. Heute bin die einzige – auch gut, so habe ich den Guide Luis und den Fahrer für mich alleine und kann mein Spanisch üben.
Luis kommt aus dem Norden des Landes und erzählt, dass er zu Schulzeiten täglich auf seinem eigenen Pferd zur Schule ritt. Zwei Stunden war der Weg einfach, das ergibt vier Stunden auf dem Pferd jeden Tag – ein für mich schönes Beispiel für die unterschiedlichsten Lebenswelten auf unserem Planeten. Ich spreche die beiden auf Probleme im Land an, die ich sehe: Überall Müll, Leute werfen alles unbesorgt auf die Straße oder in die Büsche. Der Fahrer meint, dass bisher wenig Aufklärung stattgefunden hat, ein Bewusstsein für Umweltschutz ist nicht wirklich vorhanden. Um mehr Anbaufläche zu bekommen, werden außerdem illegal Felder abgebrannt, das Feuer gerät außer Kontrolle, kleine Wälder brennen ab.
Nach über eine Stunde Autofahrt erreichen wir den Vulkan; der Wind hier kühlt angenehm.
Der Aufstieg geht relativ schnell. Oben angekommen, bekomme ich eine Art Schutzausrüstung gegen Asche und kleine Steine, kurze Einweisung und wie auf einem Schlitten geht’s den Berg hinunter.
Innerlich vergleiche ich mit dem Vulkan in Chile und der Schlittentellerfahrt und bin nicht sonderlich beeindruckt – zu kurz, zu leicht zu erklimmen. Ich hatte schon geahnt, dass es mir so gehen wird, aber was soll’s. Viel Zeit zum Spanisch üben hatte ich und etwas für einen guten Zweck gegeben.
Obwohl es nicht mega anstrengend war, bin ich ganz schön müde und hungrig als wir zurück in Leon ankommen. Im Cafe ‚Mañana Mañana‘ gönne ich mir erst einen Cappuccino mit Keks.
Dann ziehe ich weiter zum ‚Coco Calala‘, da freue ich mich schon seit Tagen drauf, nur vegane Gerichte auf der Karte.

Frittierter Blumenkohl mit frischem Gemüse in weichen Maisfladen und leckere Dips
Soweit läuft es hier gut. Ich habe nette Gespräche und bin neugierig auf den Rest des Landes. Ab und an hätte ich gerne Sherry bei mir oder einen Freund, um meine Erfahrungen zu teilen. Ich vermisse sie und mache mir viele Gedanken, wie und wo es jetzt eigentlich weitergehen soll.
Ich dachte, ich hätte eine Entscheidung getroffen und jetzt wanke ich doch wieder hin und her. Ich will zu viel, irgendeine Tür muss ich schließen, um vorwärts zu kommen.
Am Freitag laufe ich bepackt mit großem und kleinen Rucksack in der glühenden Hitze 25 Minuten zur Bushaltestelle anstatt für 1$ ein Taxi zu nehmen, der sogenannte Chicken Bus kostet dann 15 Cordoba, was weniger als einem Dollar entspricht, ich bin schweißgebadet. Ziel ist Las Piñetas, ein kleiner Ort direkt am Meer. Der Bus ist voll mit Schulkindern, einer Frau mit Wellensittich und Verkäufern, die ihre Snacks loswerden wollen. Müll wird von klein und groß achtlos aus dem Fenster geworfen.
Zwei Stunden später bin ich im Hostel Mano a Mano. Hier geht endlich wie erhofft ein Wind und die Hitze ist leichter zu ertragen – Bikini an und ab ins Wasser.Als ich aus dem Nass komme, sehe ich eine junge Frau auf einem Liegestuhl sitzen. Wir begrüßen uns und kommen direkt ins Gespräch. Mir fällt sofort ihr britischer Akzent und ihre tiefe Stimme auf. Sehr schön, mag ich doch gleich – Rebecca ist ihr Name. Ich erfahre, dass sie auch erst seit ein paar Tagen in Nicaragua ist. Sie kommt vom Norden und will danach nach Costa Rica. Ich erzähle von meinen Plänen, mir die Karibikküste anzuschauen und sie ist gleich ganz Ohr. Ich denke mir, das könnte ein potenzieller Reisepartner werden, mit den Engländerinnen hatte ich schon zweimal super Erfahrungen – und ich behalte recht: wir wollen das kleine Abenteuer gemeinsam wagen. Zwei Tage chillen wir gemeinsam am Strand. Bier, gemeinsam essen und gute Gespräche.
Dann macht sie sich auf zurück nach Leon, ich folge einen Tag später. Rebecca (Becs) ist 27, hat einen Bruder, kommt aus der Nähe von Brighton, lebte drei Jahre in Cambodia und ist jetzt auf sechsmonatiger Reise, hat vor vier Jahren 30 kg abgenommen. Sie weiß noch nicht, was sie genau mit ihrem Leben machen will, aber definitiv viel reisen, keine Kinder.
Der Strand tut gut wie immer, ich fühle mich gut mit der gebräunten Haut. Ich kommuniziere jeden Tag mit Sherry – so bleiben wir uns näher. Sie scheint sich voll in die Arbeit zu stürzen, sowohl in der Küche als auch zu Hause.Am Montag fahre ich also zurück nach Leon und erledige ein paar Dinge wie SIM-Card fürs Handy kaufen und Wäsche waschen. Dann treffe ich mich mit Becs, um die Weiterreise zu planen. Wir trinken Bier auf einer Dachterrasse und bekommen plötzlich ganz ungefragt ein zweites Getränk serviert – von dem Herrn an einem anderen Tisch, lässt uns die Bedienung wissen. Wir rechnen damit, dass er gleich rüber kommt um mit uns zu reden. Doch dann steht er auf, nickt uns nur ganz cool zu und geht. Wow! Kostenloser Drink und wir müssen nicht mal mit ihm sprechen.
Am Morgen beginnt dann unsere lange Reise Richtung Osten: local bus zum Terminal, Bus nach Managua, Taxi zum nächsten Terminal, Ankunft dort gegen 4 Uhr nachmittag mit anschließender Wartezeit von fünf Stunden bis der Nachtbus nach Bluefields startet. Kein Wunder, dass nur wenige Backpacker dieses Unternehmen wagen.
Hier treffen wir auf Ali and Andy aus England. Mein erster Eindruck: Langzeitreisende, sehr spartanisch unterwegs, er etwas reserviert, sie sehr offen und kommunikativ. Die beiden vertreiben sich die Zeit mit Karten spielen und rauchen. Ich erfahre: Andy ist Biowissenschaftler, arbeitet für eine Weile und dann reisen sie für 6 bis 24 Monate, und so geht das seit 30 Jahren. Die aktuelle Reise ist auf zwei Jahre angelegt. Später mehr zu den beiden.

Außerdem machen wir die Bekanntschaft mit Rob und Partnerin (der Name ist mir entfallen), auch aus England, sympathisches junges Paar, 6 Monate Reise. Zu sechst verbringen wir die nächsten 24 Stunden, beginnend mit der ungemütlichsten Busfahrt, die ich je erlebt habe: Becs und ich bekommen die übelsten Sitzplätze ganz hinten im Bus zugewiesen: eine harte, mit Leder überzogene Holzbank. Auf der Straße mit unzähligen Schlaglöchern und null Stoßdämpfern im Bus ist Schlaf kaum möglich. Ankunft in Bluefields gegen 5 Uhr morgens, warten auf die Fähre bis 9 Uhr, dann auf dieser sechs Stunden bis zur Insel; wieder kaum Schlaf und es ist heiß. Aber die Fahrt ist ruhig, wir hatten viel gelesen über die raue Überfahrt und viel Kotzerei, doch all das bleibt uns erspart.15:30Uhr Ankunft auf Big Corn Island.
Becs und ich haben für die erste Nacht online ein Zimmer reserviert, Leonardo, der Vermieter, holt uns ab. Ali und Andy schließen sich uns an. Unsere Zimmer sind sehr einfach, aber sauber und schließen an das bescheidene Heim der Familie an. Wir legen ab, fühlen uns alle ziemlich schmutzig – gehen aber einstimmig erst mal ein Bier trinken und tauschen Reisestories aus. Dann duschen und zusammen Abendessen im Comedor – eine Art Restaurant aus Wellblech zusammengeschustert. Am nächsten Tag erkunden wir nach dem Frühstück, bestehend aus Reis und Bohnen, Brot, Tomaten und Ei (für mich ohne), die Insel.Der schönste Strand ist ganz in der Nähe, mit Becs nehme ich ein Taxi um den Norden der Insel zu sehen. Alles ziemlich ruhig hier, die Nebensaison hat gerade begonnen.
Am zweiten Abend kochen wir Reis mit Currygemüse und spielen Karten mit Ali und Andy.
Mehr gibt es hier nicht zu sehen und so begeben wir uns am Freitag per Speedboot nach Little Corn, unserem eigentlichen Ziel.

Hier gibt es keine motorisierten Fahrzeuge, dementsprechend alles seht idyllisch, saftig grün und friedlich. Becs und ich haben zwei Nächte im Osten der Insel gebucht. Sehr einfach die Unterkunft, Küche kaum brauchbar. Also essen wir auswärts und wechseln am Sonntag ins Hostel zu Ali und Andy. Andy schlägt für uns außerdem einen super Deal raus, somit zahlen wir gerade mal $10 fürs Doppelzimmer pro Nacht. Hier zeigt sich mal wieder, dass die neue Art des Backpackers, alles im voraus zu reservieren zwar sicher, aber nicht unbedingt besser ist.

Wir verbringen die Tage hier mit Strand, lesen, Karten spielen und vielen Unterhaltungen. Ich höre Ali and Andy gerne zu. Seit über 30 Jahren reisen sie auf diese Art. Sie arbeiten zwei Jahre und dann geht’s wieder los. Folglich waren sie schon in vielen Ecken der Welt, reisen spartanisch und sind nach wie vor neugierig, Indien hat es ihnen besonders angetan. Ali ist überaus liebevoll, fürsorglich, offenherzig. Die beiden geben ein sehr harmonisches Team ab. Andy ist immer auf der Suche nach dem günstigsten Schnäppchen für Unterkunft, Bier und Rum. Wenn die beiden erzählen, geben sie sich gegenseitig das Wort in die Hand. Seine Stimme ist laut, durchdringend und etwas kratzig, funkelnde Augen, herzhaftes Lachen. Beide haben etwas sehr Entspanntes, keine Kinder (einer ihrer Tipps für eine langjährige gute Beziehung), sie hat die engere Verbindung zu ihrer Familie. Die beiden wissen noch nicht, wie sie ihre Rente bekommen, sehen der Zukunft aber entspannt entgegen.Unser Eindruck von den Inseln: Die Menschen auf dieser Seite des Landes sind freundlicher, das Aussehen karibischer, lockige Haare und helle Augen. Gesprochen wird kreolisches Englisch, was gewöhnungsbedürftig aber sympathisch ist, viele Gerichte werden mit Kokosnuss zubereitet, die kleine Insel ist sehr sauber, nur zweimal die Woche geht die Fähre zum Festland, viele Straßenhunde, die mitunter auch mal zubeissen, Tauchen und Schnorcheln sind die gängigen angebotenen Aktivitäten.
Die Sonne tut extrem gut. Gebräunt fühlt man sich einfach viel besser und sieht auch besser aus. Ich vermisse Sherry, weiß jedoch nach wie vor nicht, wie es weitergehen soll. Vielleicht muss ich wirklich eine Lösung finden, die mich regelmäßig länger reisen lässt. Ich sollte eine Liste machen: Was brauche ich, was will ich, auf was kann ich verzichten, wo fühle ich mich wohl und ausgelastet, wo soll meine Basis sein. Wir verbringen die letzten Tage hauptsächlich mit Strand und lesen – vier Personen nebeneinander am Strand, alle am Lesen mit Buch – auch kein gewöhnlicher Anblick heutzutage.
Auf einem gemeinsamen Schnorchelausflug mit anderen Gästen des Hostels sehen wir eine Wasserschildkröte, Rochen, kleine Haie, Hummer und viele leuchtend bunte Fische.
Es läuft sehr entspannt zwischen uns vieren. Becs ist total goldig, ihr fällt es schwer jegliche Art von Geschenk anzunehmen, egal ob Essen, Sonnencreme etc., sie ist ein kleiner Tollpatsch, was mich an meine Schwester Anne erinnert. Es fühlt sich ein wenig an, wie mit ihr zu reisen, was schön ist. Sie ist lustig, kann über sich selbst lachen, hofft noch auf ein paar Liebschaften in den letzten Wochen ihrer Reise. Sommersprossen, verlegt gerne Dinge, mag wie ich keine brazil nuts, Lieblingszahl 7.
Wir freunden uns mit der Schwester des Hostelbesitzers an und sie kocht mit uns an einem Abend das traditionelle Gericht Rondon, bestehend aus Kartoffeln, Yam, Kochbananen und Fisch. Wir sind überrascht von dem intensiven leckeren Geschmack. Eine besondere Erfahrung, denn die Milch der Kokosnuss kommt nicht aus der Dose – wir durchlaufen den natürlichen Herstellungsprozess: Nuss aufhacken, Fleisch entnehmen, raspeln, in Wasser einweichen und Milch rauspressen. Wir lernen: die erste Pressung ist die beste, bis zu dreimal geht, die Raspel werden anschließend an die Hühner verfüttert.
Nach einer Woche verlassen wir die Insel, die Rückreise zum Festland wird etwas entspannter, da wir eine Nacht in Bluefields bleiben.

Dann die Busfahrt zurück, welche wir aber bei Tag unternehmen, es gibt viel zu sehen und wir stellen sicher, dass wir nicht auf den Kacksitzen landen. Ali und Andy begleiten uns nach Granada, obwohl sie schon dort waren. Sie wollen Vorräte auffüllen (Zigaretten, Rum etc.) Ich überlege, mit den beiden weiter nach Ometepe zu reisen, denn ich genieße ihre Gesellschaft.
So fühle ich mich gerade richtig wohl mit dem Leben zurück als Langzeitreisende und bezweifle, dass ich komplett zurück in feste Strukturen will. Ali und Andy sind inspirierend und in meinem Hinterkopf spüre ich es arbeiten, wie ich das zufriedenstellend hinbekommen könnte. Alle drei Jahre Sabbatjahr? Wirklich zurück ins Lehrerleben? Die vegane Nummer pushen? Was komplett Neues? Dass Sherry und ich gerade so lange getrennt sind, lässt mich nachdenken: unsere Beziehung ist genährt und gewachsen durch physische Nähe. Auf Dauer immer wieder länger getrennt zu sein, kann das funktionieren? Oder ist das genau, was ich brauche, damit es hält? Ich kann definitiv sagen, dass ich mit ihr die bisher beste und gesündeste Beziehung habe: frei und mit viel Lachen, Aufmerksamkeit, Verständnis, liebevoll, lebendig, Überraschungen und mehr.
Der Mai neigt sich langsam dem Ende. Wir bleiben gemeinsam übers Wochenende in Granada: schöne bunte Stadt, Kirchen, Restaurants und Cafés, Markt und großer Supermarkt.Der See ist ziemlich unspektakulär.
Am Sonntag regnet es nonstop und wir sitzen im Hostel fest (wollten eigentlich zur Laguna de apoyo). Becs will noch länger hier in der Partystadt bleiben und so ist es Zeit Abschied zu nehmen – wann wir uns wohl wiedersehen? Mit Ali und Andy ziehe ich weiter nach Ometepe, die Insel mit zwei Vulkanen.
Auch hier entkommen wir dem Regen nicht. Einen Vulkan zu besteigen macht da wenig Sinn. Wir machen also kurze Spaziergänge, gehen abends im lokalen Comedor essen und zahlen zusammen nicht mal $7 für leckeres traditionelles Essen: Tamales, Eier, Gallo Pinto (Reis und Bohnen) und Salat.
Unser Hostel gefällt uns sehr: viel Farbe, verschiedene Ebenen, viele Naturmaterialien verarbeitet, Malereien an den Wänden, geräumige Küche, Billardtisch, viele Rückzugsmöglichkeiten.
Ich lerne Ali and Andy immer besser kennen. Ali ist definitiv die Sensible. Sie liebt es die Geschichten anderer Menschen zu hören, ist neugierig und stellt sich dieselben Fragen über Menschen, denen sie begegnet, wie ich selbst. Die beiden sind super gechillt und schwer aufzuregen. Andy wirkte zu Anfang etwas schroff, geht aber sehr respektvoll mit anderen um und erklärt gerne, nimmt sich dabei Zeit, ist wissbegierig und spielt überragend Billard. Die beiden geben sich das Wort in die Hand, wenn sie ihre Geschichten erzählen, wirken sehr harmonisch miteinander und sind ein schönes Beispiel, dass man diese Art zu leben sehr wohl über Jahrzehnte aufrecht erhalten kann. Es ist spannend, wie sie ihr Reisen möglich machen und sie teilen all diese Erlebnisse miteinander.
Mit Sherry spreche ich zweimal die Woche, ansonst texten wir, aber nicht wirklich oft oder viel. Über einen Monat bin ich nun schon unterwegs. Ich vermisse sie, genieße aber gleichzeitig das Reisen. Das Schöne ist, dass sie mich komplett versteht, mich natürlich vermisst aber sich gleichzeitig für mich freut, dass ich mache, was ich liebe.
Hier ist es so verregnet, dass ich die Schnauze voll habe und kurzerhand meine Pläne ändere. Ganz Zentralamerika erlebt gerade Stürme und ungewöhnlich viel Regen. Mir bleiben nicht mehr viel Zeit, bis ich wieder nach Halifax gehe und ich hab genug vom Nass. Also buche ich (vielleicht überstürzt) einen Flug nach Cancun um von dort auf die Insel Holbox zu gelangen. Becs schwärmt von dem idyllischen Ort, zuverlässig Sonnenschein, whale Shark season, kitesurfing, keine Autos, biolumineszierendes Wasser und mehr. Nicht ganz billig dort, aber ich freue mich drauf. Zudem war ich von Anfang an nicht wirklich scharf auf das touristische Costa Rica.
Bei Dauerregen sitzen wir zu dritt im Hostel: Ali am Tagebuch schreiben, Andy am Laptop und ich an meinen Notizen. Unsere dritte 1Liter-Bierflasche ist leer und wir versuchen jeder für sich voranzukommen. Gleichzeitig tauschen uns aus übers Reisen, wie uns das verändert hat und über Menschen, die wir zusammen kennen gelernt haben.
Dann lässt der Regen nach, Becs stößt zu uns und es gibt ein schönes Wiedersehen. Ich zweifle meine Entscheidung an, nach Mexiko zu fliegen – diese Unentschlossenheit, die sich über viele Monate eingeschlichen hat, macht mich langsam wahnsinnig; zu späterem Zeitpunkt mehr hierzu.Nun heißt es endgültig Abschied nehmen von Becs.
Mit Ali und Andy überquere ich via Bus die Grenze nach San José in Costa Rica, nur ein Zwischenstopp für uns drei. Im Hostel angekommen, nehmen Ali und ich an der walking tour teil, Andy liegt mit Erkältung im Bett.Auf dem Rückweg vergessen wir für mich die Buszeiten zu checken, so dass ich noch mal alleine losgehe, zehn Minuten zu Fuß. Auf dem Rückweg, nur 200 Meter vom Hostel, rennt plötzlich ein Typ auf mich zu, greift mich am Hals, reißt meine Kette ab und rennt weiter… Das Ganze passiert innerhalb von zehn Sekunden, ohne einen Laut. Ungläubig und im Schock blicke ich mich um und laufe weiter. Ein Mann läuft wenige Meter hinter mir und reagiert nicht. Zurück im Hostel breche ich in Tränen aus, ärgere mich über mich selbst, die Kette überhaupt mit auf Reisen genommen zu haben (ein Geschenk von Sherry), hätte ich besser wissen sollen. Andererseits wäre ich am nächsten Morgen alleine zum Busbahnhof gelaufen. Wer weiß, was da vielleicht passiert wäre. Ali nimmt mich sofort in den Arm als ich den beiden erzähle, was passiert ist und sie kümmern sich rührend um mich. Es dauert mehrere Tage bis ich den Schock komplett loswerde.
Abends treffe ich mich mit Aurora, unsere Wege kreuzten sich vor zwei Jahren in Buenos Aires. Sie führt mich aus in ein Viertel mit stylischen Bars.Tut gut abgelenkt zu sein und ich bereue ein bisschen, jetzt doch nicht hier zu bleiben, zweifle meine Entscheidung wieder an, ich bin vollkommen durch den Wind. Sie sagt, ich soll doch da bleiben, kann bei ihr unterkommen und übers Wochenende würden wir dann zusammen an den Strand. Letztendlich bleibe ich bei meiner Entscheidung, abzureisen.
Aurora ist Dozentin an einer Uni für Business English. Wir haben viel gemeinsam, sie macht sich viele Gedanken wie ihr Leben weitergehen soll. Mit den Männern klappt es nicht, manchmal verzweifelt sie an der Unentschlossenheit der Männer. Sie hat hohe Ansprüche, will einen gebildeten Mann, gefühlvoll und Spaß, gibt meinem Empfinden nach zuviel auf einen Titel. Folglich konzentriert sie sich auf sich selbst ohne die Erwartung, dass sich etwas ergibt. Sie sucht eine berufliche Herausforderung und zieht möglicherweise nach London für ihren PhD.
Ankunft in Cancun. Es ist heiß und sonnig – schon mal gut. Ich gehe zum selben Hostel wie letztes Mal – hat sich verändert, mehr Party, nicht mehr so neu, fühlt sich nicht mehr genauso an. Mein rastloses Gefühl ist zurück. Mit drei Leuten gehe ich was essen, der eine Typ quatscht am laufenden Band. Ich brauche Ruhe, bin übermüdet und will hier weg. Ich verdrücke mich aufs Zimmer und werfe einen Blick auf den Kalender. Noch 12 Tage hier, erscheint mir gerade ewig. Im August will ich nach Deutschland, davor noch möglichst viel Zeit mit Sherry und in Halifax mit Freunden verbringen, etwas Geld verdienen. Die Zeit ist begrenzt, irgendwo muss ich kürzen, glaube im Moment besser zu Hause in Halifax bei ihr aufgehoben zu sein, dort gibt es mehr für mich zu tun. Der Schock sitzt mir noch in den Knochen. Ich bin innerhalb der 24 Stunden Frist um den Flug zu canceln und buche um. Neuer Termin ist in vier Tagen. Ich checke am Morgen aus und begebe mich auf direktem Weg Richtung Insel Holbox, meine eigentliche Motivation überhaupt diesen irrationalen Flug nach Mexiko gebucht zu haben. Sobald ich mich auf dem Weg zur Insel befinde, wird mein Kopf ruhiger, immerhin gibt es jetzt kein hin und her überlegen mehr.Und die Insel tut gut: viel viel Sonne, Natur, Sonnenuntergänge, klarer Sternenhimmel, eine Kajaktour, es ist wunderschön bunt hier, Spaziergänge am Strand und ein neues Tattoo. Die Gelegenheit mit dem Tätowierer im Hostel war zu gut. Und nachdem mir meine Kette genommen wurde, ein guter Ersatz. Das Hostel bekommt übrigens einen Platz in meiner top ten Liste, hier müssen Reisende mit Erfahrung am Werk gewesen sein.

Mein Eindruck von Holbox: gutes Reiseziel um den Trubel zu entkommen, bunt, heiß, gutes Essen, gesellig, viele Cafés und Bars, gechillt, überall Sand.

Viele Aktivitäten vor Ort: whalesharks, Flamingos, leuchtendes Wasser, Kitesurfen, persönlich aber kein Ort, wo ich leben könnte.Ich brauche Kultur, Nähe zur Stadt, mein Leute, meine Familie – immer wieder komme ich zu demselben Schluss. Bin ich jetzt nach dem Reisen schlauer als vorher? Ja und nein. Die Beziehung zu Sherry ist mir unglaublich wichtig. Doch wie soll es nach dem Sommer weitergehen? Für uns, für mich, mit dem Reisen, mit der Arbeit.
Bei meinem Zwischenstopp am Flughafen in Chicago erlebe ich dann noch eine riesige Überraschung: ich schlendere zum Gate, von dem mein Weiterflug geht, setze mich und denke im nächsten Moment: die Stimme, die da spricht, kenne ich doch! Ich blicke auf und sehe meinen Cousin Bernd drei Meter entfernt stehen – mit seiner Körpergröße unverkennbar. Unsere Familien sind eng verbunden und wir haben in unserer Kindheit viel Zeit miteinander verbracht. In meinem Gesicht macht sich ein Grinsen breit, ich rufe durch den Raum: „Heah, was machschn du hier?“ Er dreht sich um und ist genauso baff wie ich. Was eine schöne Begegnung.Wesentlich beschwingter verläuft der Rest der Reise und wenige Stunden später lande ich in Halifax.