19. Januar – 02. Februar 2017
Anne hat morgen Geburtstag und in Buenos Aires ist schon alles vorbereitet um in ihren Ehrentag zu feiern. Matias war mir dabei eine große Hilfe und hat für uns ein paar Dinge organisiert. Ramin habe ich auch eingeladen, nur Luis kann nicht kommen, da er kurzfristig für ein Interview nach New York musste.
Gegen 19Uhr kommen wir bei Matias an. Wir können heute bei ihm schlafen, denn die Nacht wird wahrscheinlich kurz, da hätte es sich kaum gelohnt, ein Hostel zu suchen. Wir machen uns kurz frisch und dann gehts auch schon los Richtung Restaurant. Auf dem Weg sammeln wir Ramin ein. Die Männer bestellen Wein und viel Fleisch, sie meinen das gehört sich so für den letzten Abend in Argentinien. Später schielen meine Schwestern ganz neidisch auf meinen Teller mit gegrilltem Gemüse und Kartoffeln.
Zweiter Programmpunkt ist Standup-Comedy auf der Avenida Corrientes. Das, was wir verstehen, ist wirklich lustig. Außerdem gibts einen Begrüßungsdrink und das Erlebnis an sich ist besonders.

Auf dem Weg zur Secret Bar ‚Franks‘ übt Matias mit Anne das Passwort, welches man am Eingang nennen muss um eingelassen zu werden: ‚Antoine de Saint-Exupéry‘. Verdammt coole Bar in dunkles Licht getaucht, hohe Decken mit zweiter offener Ebene, gemütliche stilvolle Sofas und durchgestylte Barkeeper. Wir bestellen fünf verschiedene Cocktails und probieren alle durch.

Obwohl wir total müde sind und die Jungs morgen arbeiten müssen, setzen wir uns noch auf ein Bier an den Plaza Serena mitten in Palermo und stoßen noch einmal auf Anne an, bevor wir letztendlich gegen fünf Uhr morgens im Bett liegen. Matias muss eine Stunde später wieder aufstehen – der Arme! Ellen ist ernsthaft angetan von seinem Engagement für unseren Abend und von seiner Gastfreundschaft. Toller Typ eben!
Es ist Freitag und meine Schwestern reisen heute ab – so schnell vergehen drei Wochen. Als wir uns zum Abschied in den Arm nehmen, wird mir bewusst, dass wir uns jetzt mindestens fünf Monate nicht sehen werden – versetzt mir einen leichten Stich ins Herz und ich hab einen Klos im Hals.
Den Rest des Tages mache ich nicht viel, die Nacht war ja kurz, ich bereite Essen für Matias und mich vor und gehe endlich mal wieder laufen. Die drängende Entscheidung schwirrt pausenlos in meinem Kopf umher.
Matias hat mich eingeladen, übers Wochenende zu seinem Freund Joaquim nach Chascomus aufs Land zu fahren, der bei seinen Eltern Geburtstag feiert. Als wir ankommen, wird mir auch klar warum genau hier gefeiert wird: riesiger Garten mit Pool, Steingrill für Asado, der See nur ein paar Laufschritte entfernt.
Nach dem ersten Bier werfen wir uns in unsere Badesachen und hängen am, im oder um den Pool. Die Eltern sind super gastfreundlich und gegen vier beginnt der Vater mit dem Grillgut – und das ist ne Philosophie für sich: zuerst wird die Kohle vorbereitet, dann kommen ganze siebzehn Kilo Fleisch am Stück auf den Grill. Auch wenn das ganze völlig gegen meine einstellung und lebensweise geht, ist es doch spannend zu beobachten mit welcher Hingabe mit dem Feuer umgegangen wird.Je später der Abend desto mehr Gäste erscheinen, mit Salaten, Beilagen und Desserts in den Händen. Gegen elf Uhr abends sind wir um die dreißig Personen und nach sieben Stunden ist das Fleisch butterweich, sodass sich die Rippen ganz einfach lösen lassen. Basti! Das wäre ein Festmahl für dich! Der Vater meint, ich muss ein Stück versuchen, sonst wäre ich nicht wirklich in Argentinien gewesen. Aber nein, keine Chance, geht gar nicht.

Nach viel Essen und noch mehr Bier ist die Jugend bereit für den Club und ja, ich darf mich noch dazu zählen. Nicht ganz meine Musik – den ganzen Abend Bachata mag ich nicht.

Um halbsechs am nächsten Morgen falle ich mit Matias ins Bett und als wir wieder aufstehen, übernehmen die Hardcore Tanzmäuse torkelnd unseren Schlafplatz. Bevor es abends wieder in die Stadt geht, genießen wir den Sonntag am Pool – ja klar, wieder Bier und Reste von gestern. Die Tage ohne Alkohol kann ich echt zählen.
Ich bin reisemüde – 140 Tage bin ich schon unterwegs und so vergeht jetzt eine Woche in Buenos Aires bei Matias, in der ich tagsüber gar nicht viel mache und regeneriere: schlafen, laufen gehen, mit Freunden chatten, kochen und Australian Open schauen. Zum Finale am Sonntag stellen wir uns den Wecker um sechs Uhr morgens und Federer gewinnt das Ding auch noch – überragend! Die Abende verbringe ich mit Matias und wir verstehen uns verdammt gut, gehen zusammen ins Kino, haben interessante Gespräche über unsere Arbeit, Familie, Politik, die Generation Z, die sich ein Leben ohne soziale Medien und all die Rafinessen der neuen Technik nicht mehr vorstellen kann, was auf gewisse Art auch ein Fluch ist. Wir entdecken unsere gemeinsame Liebe für Schokolade und er übertrifft mich bei weitem – kein Tag vergeht für ihn ohne Alfajor.

Mein Kopf lässt mir keine Ruhe, die Zeit drängt, der Druck wächst, bin handlungsunfähig meine Weiterreise zu planen solange diese eine Entscheidung nicht gefallen ist. Das kann doch verdammt nochmal nicht so schwer sein. Mein Kollege Uli schickt mir Bilder von der Arbeit: wirkt so weit weg und doch so nah. Will ich dahin zurück, jetzt? Schicke meinem Chef ne email, wie es eigentlich gerade aussieht, was der Plan ist.
Wofür bist du heute aufgestanden? Wofür brennst du?
Wovor hast du Angst, was bedrückt dich, was wünscht sich dein Herz, was kannst du steuern?
Einstellung ist alles!
Als ich am Mittwoch morgen die Antwort lese, ist auf einmal alles klar und mein Kopf hört auf zu brummen: in die alte Position komme ich wohl nicht zurück, das heißt so oder so steht Veränderung an und in dem Moment spüre ich ganz klar: ich will mehr! Mehr Zeit, mehr erleben, die harten Momente nehme ich dafür gerne mit, führen mich näher zu mir selbst, will verrückt sein, den Sprung ins Ungewisse wagen. Es sträubt sich alles in mir bei dem Gedanken daran in die gewohnten Strukturen zurück zu gehen. Noch am selben Tag geht der Antrag auf Verlängerung raus. Zwei Tage später buche ich meinen Flug nach Santiago, wo ich Félix aus Brasilien wiedersehen werde und dann gehts Richtung Norden.
Die letzten Tage schlafe ich bei Fede, da Matias seine Großeltern beherbergen muss und so wird auch er ein wahrer Freund. Da Fede noch Urlaub hat (er unterrichtet an der Uni und macht gerade seinen phd) frühstücken wir jeden Morgen bzw Mittag gemeinsam und haben viel Zeit uns auszutauschen. Er ist aus Buenos Aires, liebt seine Stadt, ist neugierig, aufgeschlossen, positiv, sensibel, guter Geschmack was Inneneinrichtung angeht und für jeden Spaß zu haben.

So ist meine zweite Woche nochmal gefüllt mit besonderen Momenten, die ich mit Menschen teilen darf, die das Herz am rechten Fleck haben:
- Ausgehen in Palermo mit Matias, Fede und Joaquin,
- Mittagessen bei Matias Großeltern,
- ein Tag nur mit Ramin mit Livemusik, Cerveza in Palermo und Essen bei Sarkis, seinem Lieblingsrestaurant. Er gratuliert mir zu meiner Entscheidung: „Sarah, you’re not a tourist anymore, you’re a traveller now!“
- ‚Bomba del Tiempo‘ am Montag Abend mit Matias und Fede. Matias hat recht: muss man gesehen haben, wenn man in Buenos Aires ist: der Rhythmus reißt einen mit, super Stimmung! Bin im hier und jetzt.
- Biketour: am Dienstag Abend zeigt Fede mir Buenos Aires bei Nacht: wir fahren über zwei Stunden auf seinem Motorrad durch die Stadt und er zeigt mir neben seinem Lieblingsort so einige Flecken, die ich noch gar nicht kannte. Ich mache kein einziges Foto, genieße einfach nur die Fahrt und lasse die Eindrücke auf mich wirken. Gegen ein Uhr nachts betreten wir eine super stylische Bar und bestellen Bier, papas fritas und Nachos. Ich mag Buenos Aires!





Hab manchmal Momente von Heimweh, aber dann kommt ganz schnell die Gewissheit, dass ich nach einer Woche zuhause gleich wieder weg wollen würde. Alles gut und ich fühle mich gut mit meiner Entscheidung.
1.Februar: es ist offiziell: ich bin beurlaubt bis zum 31.07.2018 – was für ein Gefühl!
Und jetzt lass dich treiben – lebe, genieße, es gibt nur jetzt und hier!
Mein letzter Abend in Buenos Aires. Schon seit ein paar Tagen bin ich etwas wehmütig, denn ich fühle mich wohl hier, hab Freunde gefunden, mich eingelebt und die Stadt jetzt schon lieben gelernt. Hier könnte ich leben, für eine Weile.
Matias und ich beginnen den Abend mit einem Pingpong Match, das seit Tagen aussteht. Er ist ein ernstzunehmender Gegner und wir haben riesen Spaß. Ramin kommt wie ein echter Südamerikaner mal immer etwas später und schwingt auch ein paar Runden den Schläger. Als Fede und Joaquin noch zu uns stoßen, gibts Lagebesprechung wo wir essen sollen. Ich wollte erst Sushi für den letzten Abend, bin aber auch mit veganem Burger mehr als glücklich. Wir leeren unser Bier und nach viel Sucherei im Netz machen wir uns auf Richtung Restaurant. Auf der Dachterrasse werfe ich einen ersten Blick auf die Karte und muss sagen: buena elección! Ich hab sogar die Wahl zwischen mehreren veganen Optionen. Wir stoßen an und ich blicke in Augen von Menschen, die so gut zu mir gewesen sind, mich in ihren Kreis aufgenommen haben, so viel Zeit mit mir geteilt haben. Ich werd die Jungs vermissen!
Während ich hier in der Hängematte liege und schreibe, schießen mir Tränen in die Augen. Ja, ich vermisse euch, Jungs! Mit den richtigen Menschen kann die Welt wunderschön sein. Aus tiefstem Herzen danke!