Puerto Varas

13 – 17 Dezember 2016

Puerto Varas ist postkartentauglich: direkt an einem riesigen See umgeben von Vulkanen. Einer davon ist Anfang letzten Jahres ausgebrochen, die Lawa schoss elf Kilometer in die Höhe – elf Kilometer! Das muss man sich mal vorstellen. Ein paar Häuser wurden durch die herabfließende Lawa zerstört, aber zum Glück niemand verletzt.

Meine Unterkunft ist wie ausgestorben und macht einen ziemlich traurigen Eindruck, daher lege ich meine Sachen ab und laufe zum Hostel, das pro Nacht fünf Euro teurer ist, dafür aber um Welten besser und buche mich für die restlichen drei Tage hier ein: relativ neu, top Küche zum Kochen, viel Platz im Bett, Regendusche mit gescheitem Wasserdruck – ach ja, hier lässt es sich aushalten.

Danach treffe ich mich mit Jason, einem Freund von Felix (meine Bekanntschaft aus Salvador). Mit Felix bin ich die ganze Zeit über in Kontakt und da er auch in Chile arbeitet, kennt er hier ein paar Leute. Jason kommt aus Oregon, verdient sein Geld hier als Guide und macht Kurse mit Kindern, um ihnen die Natur näher zu bringen. Er gibt mir einen Überblick, was ich hier alles machen kann, wo ich ein Fahrrad leihen sollte und bietet an, morgen eine Tour mit mir zu machen: in einen Teil des Regenwaldes hier am Fuße des Vulkans. Ist nicht ganz billig, aber ich sage zu – habe das Gefühl, das könnte interessant werden.
Noch am selben Abend findet in einer Bar am See ein Couchsurfing Treffen statt, was mir gerade recht kommt, da in meinem Hostel wie gesagt tote Hose ist. Ich treffe auf ein paar Chilenen, die entweder von hier sind oder gerade hier arbeiten, was mir die Möglichkeit gibt, mein Spanisch weiter zu üben.

Um neun Uhr am nächsten Morgen holt mich Jason ab. Ich lade mein komplettes Gepäck in seinen Kombi, da er mich abends direkt zum neuen Hostel bringen wird. Bevor wir mit dem eigentlichen Hike beginnen, fahren wir knapp zwei Stunden auf der Carretera Austral: es gibt viel zu sehen und ich bin ganz gefesselt als Jason vom letzten Vulkanausbruch erzählt, da er einen Tag vorher sogar noch oben war. Unser Gespräch führt uns zu Zielen, Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten im Leben – wir verstehen uns ohne große Erklärungen, da er schon die gleichen Phasen durchlebt hat wie ich gerade. Er hat seine Leidenschaft gefunden und seine Faszination für die Natur ist so lebendig, dass ich mich frage, was meine große Liebe ist.

Du musst dich fragen, für was dein Herz schlägt, was dich begeistert und diesem Ruf folgen.

Am Nationalpark angekommen parken wir das Auto und laufen los. Das Wetter ist perfekt: sonnig, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Zunächst bewegen wir uns auf normalen Wanderwegen bis Jason mich fragt, ob ich bereit bin einen weniger benutzten Pfad zu gehen, der wahrscheinlich etwas schwieriger ist – was für eine Frage – let’s go!

Die Wege sind mal steinig, mal aus Holz, manchmal auch matschig und ich bemühe mich, keine nassen Füße zu bekommen – dabei hieß es meine Laufschuhe sind ausreichend. Ja ja – das hat er geschickt eingefädelt um mich nass zu sehen, scherze ich.

Regelmäßig halten wir kurz an und Jason erzählt mir hier und da etwas zu den Pflanzen und Bäumen, die wir passieren. Er lässt mich an Blättern riechen, Sträucher und Moos berühren und die Größe und Form der uralten Bäume hier bestaunen. Es ist faszinierend und ansteckend, mit welcher Begeisterung er durch den Wald geht.

Dann geht es einen schmalen Pfad hinauf und wir erreichen zwei kleine Holzbänke inmitten riesiger Bäume. Wir setzen uns und ich lerne wie Bäume miteinander kommunizieren, sich auch außerhalb ihrer Art gegenseitig helfen und erfahre einen Moment des größeren Zusammenhangs als wäre ein Denken der Natur vorhanden, da das Zusammenspiel perfekt ist.

Es geht nicht darum, stärker als andere zu sein sondern darum zu teilen, damit alle überleben und stark sein können.

Jason spricht von der Distanz zwischen Mensch und Natur: wie so viele einmal im Jahr ‚in die Natur‘ fahren, sich erholen um sich dann wieder von neuem in den Stress zu stürzen. Dabei sind wir selbst Natur und müssen uns wieder als Teil dieser erkennen um mehr Einklang mit ihr zu schaffen, mehr Bewusstsein, mehr Einsicht, was letztendlich zu Taten führt, die verdammt nochmal bewahren und nicht zerstören.

Jason weiß, dass man auf Reisen selten Momente für sich alleine hat und läuft schon mal vor um mir Zeit für mich an diesem Ort zu geben. Ich blicke in den Himmel, atme tief ein und aus und spüre die Lebendigkeit der Natur.

Mit einem Picknick ganz nach meinem Geschmack beenden wir unseren Ausflug.

Am nächsten Tag mache ich auf Jasons Empfehlung hin eine Fahrradtour in den 35km entfernten Ort Frutillar mit deutschem Einschlag, da die Landschaft dorthin zu schön ist um mit dem Bus durch zu rauschen. Der Typ im Fahrradverleih meint noch, dass die Strecke nicht ohne ist, fragt mich wie fit ich bin und ob ich einen Reifen flicken kann (dank Papa ja); eine Abkürzung gibts auch, die richtig hart ist, weil aus Schotter, aber dafür acht Kilomenter weniger. Mal schauen, den Hinweg fahre ich auf jeden Fall am See entlang.

Mit Helm, Flickzeug, viel Wasser und Proviant fahre ich los und muss mich zurückhalten, nicht dauernd anzuhalten um Fotos zu schießen, denn die Gegend ist wirklich wunderschön, aber so komme ich nie an. Der Schotterweg führt mich gleich zu Beginn entlang alter Zuggleise: ganz schön eng und nicht ganz einfach, muss ganz schön aufpassen, sehe mich schon im Graben liegen – dass sowas überhaupt als Fahrradweg bezeichnet wird.

Nach viel mehr Schotter und Blumenwiesen kommt endlich der Asphalt. Dafür geht es jetzt allerdings stetig bergauf und ab. So eine steile Bergaufphase kann schon mal zwanzig Minuten dauern und ich bin sooo kurz davor zu schieben. Ich brülle die Anstrengung heraus – die Blöße gebe ich mir nicht – dabei ist kein Schwein unterwegs hier, würde also niemand sehen, aber mein Ehrgeiz lässt das nicht zu. Ich muss an meine Volleyballer Steffi und Thorsten denken und wie Steffi immer kichert, wenn sie die kleinen Gänge an ihrem Fahrrad einlegt und scheinbar mit null Anstrengung bergauf fährt, wenn wir Mannemer unsere LU- Freunde besuchen. Die soll ihr Fahrrad mal hierher bringen! Fuck, ist das hart! Wo es hoch geht, gehts auf wieder runter und zwar lange und schnell. Der Fahrtwind trocknet meinen Schweiß und ich werde von Hügel zu Hügel mutiger, bremse weniger und steige mit mehr Schwung am nächsten Berg in die Pedale. Die Landschaft ist absolut rein und idyllisch und ich höre nichts außer Vögel, Wind und Stille, was einen Großteil meiner Erschöpfung wieder gut macht. 

Mit knurrendem Magen komme ich in Frutillar an und verdrücke direkt meine Erdnussbutterbrote und einen Apfel. Der Ort ist wirklich winzig: malerischer See mit Steg, eine Konzerthalle, Cafés, die deutschen Kuchen anbieten und ein paar Restaurants. Weiter oben am Berg gibts nen kleine Park, da bringt mich jetzt aber keiner hoch. Dass die hier alle so abfahren auf typisch deutsche Häuser – siehts bei uns wirklich so aus? Ich schlendere durch zwei Straßen, knipse schöne Bilder am See und dann steht der Heimweg an. 

Mindestens zwei Stunden wird das dauern und mein Arsch tut jetzt schon weh. Ich entscheide mich für die Abkürzung, denn bei dem Gedanken an die langen Talfahrten, die ich hatte, vergehts mir. Da geb ich’s mir lieber kurz und dreckig. Das könnt ihr übrigens wörtlich nehmen, denn die Abkürzung besteht komplett aus staubigem Schotter und geht, wer hätte es gedacht, steil auf und ab – wenn ich da mal nicht auf die Fresse fliege.
Fix und fertig mit siebzig Kilometern in den Beinen und leichtem Zwicken im Knie komme ich gegen sechs Uhr abends nach Puerto Varas. Jetzt nur noch das Fahrrad abgeben und drei Kilometer heim laufen – ein Katzensprung. Im Hostel koche ich, trinke wohl verdienten Wein und chille – tolle Atmosphäre hier. Bin stolz auf mich, hab den Kopf frei bekommen und alleine sein war heute auch gut.

An meinem letzten Tag hier regnet es unaufhörlich in Strömen. Ideal um nichts zu tun, einfach nur abzuhängen, essen, Tee trinken, quatschen. Um 17Uhr habe ich das Skype Interview mit der Schule in Puebla in Mexiko. Hört sich alles sehr gut an und die Arbeit wäre ähnlich wie zuhause; zudem ist es dort das ganze Jahr warm; jetzt noch alle Unterlagen hinschicken, dann gehts weiter, also abwarten.

Am Samstag nehme ich den Bus nach Bariloche in Argentinien und verlasse damit Chile. Zur Grenzkontrolle gibt es noch eine kleine Anekdote: am Schalter der chilenischen Grenze treffe ich auf den ersten wirklich gut aussehenden Chilenen: er wirft einen Blick auf meinen Pass, schaut mich an und sagt:“So Sarah, you are 35 years old?“ Ich:“Si“ Nach kurzem Innehalten fragt er:“Are you single?“ What? Hat der das gerade wirklich gesagt? Ich muss lachen und grinse ihn an. Wir tauschen noch schnell einen Blick aus und dann muss ich auch schon weg. Flirtet der Grenzbeamte doch tatsächlich mit mir! Und genau das liebe ich an Südamerika: nicht alles so steif, wir sind doch alle Menschen mit Gefühlen.

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