Der Nachtbus bringt mich bis an die Grenze zu Chile, weiter geht es im Morgengrauen im Auto mit Fahrer und drei weiteren Personen, der Grenzverkehr wirkt routiniert, keine Ahnung, wie viel hunderte Menschen täglich die Grenze passieren. Am frühen Morgen erreichen wir Arica – es ist heiß und ich hab schon den ersten Blick aufs Meer werfen können.
Ziemlich verschwitzt komme ich an der Pforte meiner Bleibe an. Jose Luis hat den Wohnungsschlüssel für mich hinterlegt. Ich steige die Treppen des Mehrfamilienhauses hinauf, 4.Stock, ganz oben, überraschend saubere und ordentliche Wohnung, ich schaue mich um – sieht so aus als habe ich mein eigenes Zimmer mit einem richtigen Bett, vom Balkon aus kann ich das Meer sehen. Wie gewohnt erledige ich meine ersten Schritte am neuen Ort: einloggen ins wlan, Umgebung auf Google-Maps checken, den nächsten Supermarkt ansteuern. Das Meer ist gerade mal hundert Meter entfernt, genau das, was ich jetzt brauche!
Erster Spaziergang am Strand
Gegen sechs kommt Jose Luis von der Arbeit. Er arbeitet an der Grenze, hat Nacht- und Wochenendschichten. Schon seltsam, wenn man auf eine fremde Person wartet und schon in deren Wohnung ist. Unsere erste Begegnung ist direkt sehr herzlich, er bietet mir Bier an und so quatschen wir ein paar Stunden, bis ich todmüde ins Bett falle – ich schlafe himmlisch und glaube ernsthaft, noch nie in einem so gemütlichen Bett gelegen zu haben, das Kopfkissen einfach perfekt! Später erfahre ich auch, warum: Jose Luis hat sich Betten der Marke ‚Rosen‘ geleistet, nicht ganz billig, aber bezahlbar – ich bin auf jeden Fall überzeugt, hab mich noch nie so gut gebettet gefühlt!
Eine ganze Woche verbringe ich in Arica bei Jose Luis, gehe jeden Tag laufen, esse gesund, höre im Bett das Meer rauschen, genieße das warme Wetter, organisiere meine Bleibe in Lima und die ersten Tage in Toronto. Zunächst steht noch im Raum, mich nochmal mit Felix zu treffen, doch schnell wird klar, das wird nichts, er steckt in Santiago und die Arbeit lässt ihn nicht los. Jose Luis zeigt mir Arica, wir verbringen zwei Nachmittage am Strand, machen einen Spaziergang entlang der Küste, ich begleite ihn zum Barbeque bei Freunden, wo wir ein Fußballländerspiel schauen, er bringt mich zu bekannten Aussichtspunkten, wo ich einmal wieder daran erinnert werde, wie sehr die Chilenen ihre Flagge lieben. Er nimmt mich mit zu seinem Elternhaus, was ein großer Vertrauensbeweis für ihn ist, da er aus armen Verhältnissen kommt.
Kaum angekommen und schon am Strand- das hat mir gefehlt!
Blick auf den Hafen
Jose Luis macht alle Faxen mitdie sanfte Seele…
Einen Abend verbringen wir einfach nur zuhause und Jose Luis erzählt von sich und seiner vergangenen Liebe, die er nicht loslassen kann. Vom ersten Moment an habe ich gespürt, wie sensibel er ist, doch als er vor meinen Augen zusammenbricht und sich weinend in eine Ecke in der Küche setzt, bin ich doch überrascht. Ich setze mich zu ihm, nehme ihn in den Arm und er lässt seinen Tränen freien Lauf.
Jeder hat seine verborgenen Geschichten und in neuen Begegnungen sollten wir uns bewusst machen, dass es Gründe gibt für unser Verhalten, Erlebnisse, die uns prägen, uns zu dem machen, der wir sind.
Ich rate Jose Luis, loszulassen. Er trägt etwas mit sich herum, dass ihn traurig macht, ihn blockiert und verhindert, ganz offen nach vorne zu gehen. Noch Wochen nach meiner Abreise dankt er mir für meine Hilfe, er fühlt sich endlich frei.
Ein letzter Blick aufs Meer.
Nach acht Nächten bei Jose Luis nehme ich den Bus nach Tacna, die erste Stadt auf peruanischer Seite, und von dort den Flug nach Lima, Inlandsflüge sind günstiger. Sechs Tage werde ich dort haben, dann fliege ich nach Toronto. Meine Tage in Südamerika sind gezählt – fürs erste – kein gutes Gefühl. Die Frage, warum ich überhaupt hochfliege, poppt immer wieder in meinem Kopf auf. Ich beruhige mich mit dem Gedanken, jederzeit einen Flug zurück in den Süden buchen zu können.
Ich sags euch vorneweg: das wird ein langer Artikel! Macht es euch gleich mal auf dem Sofa bequem. Diese fünf Tage waren abenteuerlich, atemberaubend und unglaublich bereichernd!
Meine zweite Mitfahrgelegenheit Richtung San Pedro ist Cristian. Seine erste Frage bevor ich einsteige: ‚Do you speak English?‘ Später erzählt er, dass er gehofft hat, sein Englisch mit mir üben zu können, als er mich am Straßenrand stehen sah – gerne doch! Er wirkt etwas bedrückt und ich erfahre, dass er und seine Frau sich vor zwei Monaten getrennt haben, zwei Kinder, harte Phase gerade – und er fährt heute einfach so in der Gegend herum, um mit seinen Gedanken allein zu sein. Ich spüre seinen Schmerz und biete ihm an heute abend was zusammen trinken zu gehen. Wir tauschen Nummern aus und nachdem ich ein sympathisches kleines Hostel gefunden habe, verabreden wir uns am Plaza. Auf einer Dachterrasse mit DJ und Elektromusik verbringen wir zwei Stunden und ich hab das Gefühl, das ist genau das, was Cristian heute braucht. Trotz all dem Schmerz blickt er positiv in die Zukunft.
Am Morgen gehe ich endlich mal wieder laufen: kleine Runde und ich bin ziemlich fertig als ich zurückkomme, denke erst es ist die Hitze, bis mir einfällt, dass wir hier auf fast 3000 Metern sind. Es frustet mich, mein Sportpensum während des Reisens nicht aufrecht erhalten zu können. Bis zum Abend pendle ich zwischen Hängematte und Küche, schreibe am Blog und verarbeite meine intensiven Träume von letzter Nacht: meine letzte Romanze in Deutschland besucht mich irgendwo am Meer und ich freu mich riesig. Mama stirbt, ich weine im Schlaf, höre ihre Stimme klar und deutlich, ihre positive Art ist unglaublich präsent.
Couchsurfer Franco lädt mich ein, spontan auf ein Bier in eine Bar zu kommen, wo er gerade mit einem Freund sitzt. Ich überlege nicht lange, zwei Spritzer Parfüm, mit den Fingern durch die Haare, kurzer Blick in den Spiegel -du siehst gut aus – und los. Die urige Bar ist voll, manche stehen auf der Straße und warten auf den nächsten freien Sitzplatz oder rauchen. Ich blicke umher und treffe auf Blicke eines jungen Kerls mit hellbraunem mittellangem Haar, hübsches Gesicht, Outdoor-Kleidung wie fast alle hier. Ich nähere mich und werde neben Franco von seinem Freund Manuel und Marcio begrüßt. Marcio ist Brasilianer, reist mit seinem Motorrad und Zelt gerade vier Wochen umher und hat die zwei Jungs gerade selbst erst kennengelernt. Wir trinken zusammen Bier, die Jungs sind Tourguides und verdienen sich so ihr Geld fürs Weiterreisen. Marcio, 42, kommt aus Salvador, ist Geschichtslehrer, hat aber mittlerweile seine eigene Sprachschule und ist momentan mehr mit Administration als mit unterrichten beschäftigt. Er ist unverschämt braun gebrannt und surft für sein Leben gern. Gegen halbeins brechen wir auf und Marcio besteht darauf, mich noch nach hause zu begleiten. Auf dem Weg blicken wir nach oben – wow! Selten hab ich so einen Sternenhimmel gesehen – wir genießen diesen Anblick und Marcio drückt aus, dass er sich freut, diesen Moment mit mir teilen zu dürfen.
Am Hostel angekommen, stehen wir vor verschlossener Tür und ich ahne schon, was das bedeutet. Ein Blick zu Marcio – nein, ich hab keinen Schlüssel. Ich klingel bestimmt zehn Mal – nada! Da rührt sich gar nichts. Marcio: ‚Bevor du mit den Hunden auf der Straße schläfst, kann ich dir anbieten, mit mir in meinem Zelt zu schlafen. Viel Platz ist nicht, eher wie ein Sarg, aber besser als auf der Straße.‘ Ich schaue ihn an und weiß, das ist meine einzige Option. Er betont, dass ich keine Bedenken haben muss, er macht nichts. Also machen wir uns gemeinsam auf den Weg Richtung Zeltplatz und ich muss lachen – was eine Geschichte! Weder muss ich morgen arbeiten noch steht sonst etwas Wichtiges an. Ich bin in San Pedro in Chile unter bezauberndem Sternenhimmel und werde heute Nacht mit einem Mann ein Zelt teilen, den ich seit zwei Stunden kenne – und bin echt froh, dass er mich begleitet hat, was hätte ich sonst gemacht?!
Marcio teilt seine Zahnbürste mit mir und wir legen uns in seine Sardinenbüchse. Es dauert keine Minute bis wir uns in den Arm nehmen und aneinander kuscheln, denn es ist kalt! Ich spüre, dass Marcio sich von mir angezogen fühlt, doch er zeigt Sensibilität für meine Lage und nutzt die Situation nicht aus, das macht ihn noch sympathischer. Glaubt mir natürlich hinterher keiner, dass nix gelaufen ist mit einem Brasilianer unter einer Decke, bzw in einem Schlafsack. Nach einer Nacht mit viel Hundegebell und Lärm von anderen Campern überlasse ich Marcio sein Bett für sich und laufe nach hause um mich nochmal eine Stunde hinzulegen. Hostel ist auf und ich lerne, dass es einen Schlüssel gibt, den man mitnehmen kann – ah ja…
Morgenhimmel nach meinem Abenteuer im Zelt
Ich bereite mich auf die Dreitagestour nach Uyuni vor, die morgen ansteht und das Highlight einer Bolivienreise ist, mache meine Übungen und lade Marcio zum Brunch im Hostel ein – Pfannkuchen mit Banane. Er will heute eine Tour mit dem Motorrad zum ‚valle de la luna‘ machen. Trotz aller Bemühungen finden wir aber keinen Helm für mich. ‚Wie kann er auch Brasilien ohne einen zweiten Helm verlassen und nicht daran denken, dass er einer so hübschen Frau begegnen könnte‘, meint der Gastvater im Hostel. Ich muss also zuhause bleiben, doch als es eine Stunde später anfängt heftig zu regnen, bin ich ganz froh im Trockenen zu sein. Dafür gehen wir am Abend eine Flasche Wein trinken und unterhalten uns ohne Punkt und Komma – intelligenter Mann und herausfordernd für meinen Geist. Hand in Hand laufen wir zu meinem Hostel und reden noch ewig vor der Tür, der Abschied fällt schwer.
‚I think you will go back to Germany with all the experience, everything you have seen on your journey, open your vegan café and bring the world to that place.‘ – Marcio
Wir nehmen uns mehrmals ganz fest in den Arm, ein Kuss, mit Blick zurück geht er davon. Was für eine Begegnung – muss das noch eine Weile auf mich wirken lassen.
Marcio, mein Retter in der Not
Am Mittwoch früh werde ich um 7:30 abgeholt und nach zwei Stunden im Van gibt es Frühstück in einem Tal umgeben von Bergen und es ist kalt und windig.
Wir steigen um in Jeeps, ich suche mir nach Gefühl die sympathischste Gruppe, die dann für drei Tage so bestehen bleibt: zwei chilenische Pärchen: Valentina und Jorge, Alejandra und Rodrigo. So komme ich mir nicht so touristisch vor und kann weiter Spanisch sprechen. Cara aus Hamburg gesellt sich noch dazu. Mit Simón, unserem Fahrer, steht unsere Gruppe. In den drei Tagen ist für alles gesorgt, war nicht ganz billig, ist das Geld aber allemal wert. Wir verstehen uns auf Anhieb, lachen viel gemeinsam und sitzen immer noch lange nach dem Essen zusammen und quatschen. Auf Cara müssen wir ein bißchen aufpassen, den unser 18 jähriges Küken stellt sich schnell als Tollpatsch heraus – so verliert sie am ersten Tag ihr Handy, dann ihre Brille, die aber ein Guide wiederfindet und an der grünen Lagune fällt sie der Länge nach ins Wasser.
Die Natur, die uns in diesen Tagen begegnet, ist einfach überwältigend und ich möchte hier mehr Bilder als Worte sprechen lassen – übrigens alles ohne Farbfilter!
Erste Lagune mit FlamingosBeeindruckende Stille!
Hot springs!Geysers!Unsere erste Unterkunft mitten im Nirgendwo
Nachdem wir unsere Zimmer in unserer Unterkunft bezogen haben, die mehr als einfach ist, aber alles hat, was man so braucht für eine Nacht, gehts nochmal los zur nahegelegenen Laguna de Colores: rotes Wasser, mehr Flamingos und ein verdammt sattes Grün!
Ganz weit hinten entdecke ich Alpakas, da muss ich hin!
Wenn ich die Bilder anschaue, kann ichs selbst kaum glauben. Was ein Anblick – und ich darf hier sein!
Zurück in unserer Herberge gibts Abendessen und relativ früh legen wir uns schlafen, denn morgen früh gehts zeitig weiter.
Gepäck wird von den Guides wieder aufs Dach geschnallt
Der zweite Tag bietet mehr Lagunen, Felsformationen, grüne Ebenen und so beeindruckenden Landschaften, dass ich kaum fassen kann, wie viel unberührte Natur es doch noch gibt auf dieser Erde; und von einer Schönheit, die einen einfach nur stumm staunen lässt. Wir nehmen übrigens im Gegensatz zur Mehrheit ganz rebellisch die alternative Route, da dort zum einen nicht nur Lagunen zu sehen sind, sondern außerdem auch Simons (unser Fahrer) Lieblingsort, was uns alle neugierig macht. Angenehmer Nebeneffekt: viel weniger los hier!
Mit dem ersten Blick auf diesen Ort ist uns ganz schnell klar, warum er für Simon so besonders ist:
Ein Meer von moosartigem Gras zieht sich zwischen den Felsen dahin, durchzogen von unzähligen Wasserstellen, über die man sich seinen Weg bahnen muss (hier hauts unser Küken übrigens auf die Schnauze).
Ganz hinten steigen wir rechts auf die Felsen und der Ausblick ist unglaublich.
Jeder sucht sich seinen ganz eigenen Platz und so sitzen wir im Stillen, atmen tief ein und aus und lassen uns durchströmen von dem Frieden, der diesen Ort so einzigartig macht.
Nach der Lunchpause und einem weiteren Aussichtspunkt fahren wir zum ‚Hotel de Sal‘, der Name ist Programm.
Hotel de Sal
Selbes Spiel wie am Abend zuvor: Tee, Kaffee und Kekse, Abendessen und früh ins Bett. Morgen wollen wir zum Sonnenaufgang in der Salzwüste sein. In den Nächten regnet es übrigens heftig, was ausnahmsweise mal perfekt ist. Warum? Seht selbst:
Salar de Uyuni
Da kann man sich noch so viele Bilder vorher anschauen, dieses Naturschauspiel ist einfach nur wow! Dann kommt der Moment, in dem wir anhalten und aussteigen dürfen – Fotoshooting! Da ich keine wasserfesten Schuhe dabei habe, entscheide ich mich für Flipflops. Hammer Fotos sinds geworden und sieht alles supercool aus. Scheißekalt wars!
Man beachte, dass ich barfuß im eiskalten Wasser stehe – easy!
Teil zwei im Trockenen, ich bin komplett durchgefroren!
Größte Salzwüste der Welt – kann man auch aus dem Weltall sehen
Wir verlassen die Wüste, halten auf einem kleinen Platz mit Touriständen, wo ich mir zwei paar Stulpen kaufe, die in den Wochen danach jeden Tag in Gebrauch sein werden, essen ein letztes Mal gemeinsam und halten auf dem Weg nach Uyuni noch bei den alten Zügen.
In Uyuni, kein Grund sich länger als nötig dort aufzuhalten, gehen drei wunderschöne einzigartige Tage zu Ende.
Trampen nach La Serena, dort nochmal über den Markt und Zeit vertreiben bis zum Nachtbus nach Antofagasta. Zu sehen gibt es hier nichts und eigentlich will ich nach San Pedro, lege aber eine Art Stopover ein, um kurz durchzuatmen und übernachte zwei Tage bei Nelson, den ich über Couchsurfing gefunden habe.
Nelson ist Anfang 40, Single, hat eine Tochter Matilda, 11, die bei ihm ist als ich ankomme. Er ist selbstständig, arbeitet als Grafikdesigner, seine wahre Leidenschaft liegt allerdings bei der Fotografie. Carnaval in Brasilien, Aktfotos, Reisende, die bei ihm halt machen und das waren schon an die hundert aus aller Welt, – das und mehr sind Themen, mit denen er arbeitet. Außerdem hat er eine Website ‚behind a trip‘ mit Fotos, die er auf seinen Reisen macht.
Am ersten Abend fahren wir an den Strand ‚Juan Lopez‘ – nichts besonderes, aber Strand und Meer. Es dämmert fast schon, als wir ankommen und Nelson und Matilda ins Wasser gehen, mir ist es zu kalt. Ich vermisse die Strände in Brasilien!
Eigentlich dachte ich, etwas Zeit für meinen Blog zu haben, aber am Samstag kommt ein Freund von Nelson, auch Fotograf, der gerade von seiner neunmonatigen Reise durch Europa und Asien zurück ist, uns Videos aus Indien zeigt und nach einer Woche hier schon wieder weg will – genau das befürchte ich bei mir manchmal auch. Mittags gehen wir mit einem dritten Freund ‚Completo‘ essen, Matilda ist wieder bei ihrer Mutter.
Nelson hat ein Projekt am laufen, für das er alle Reisenden interviewt. Dabei geht es um Fragen wie: ‚Mit welcher Motivation reist du? Gab es ein bestimmtes Erlebnis, das dich zur Reise bewegt hat?‘ Mein erstes Interview auf Spanisch! Ich bin selbst überrascht, wie gut das klappt, vor ein paar Monaten wäre das nicht möglich gewesen.
Am Abend finde ich mich dann mitten in einem Fotoshooting wieder, mal mehr mal weniger jugendfrei, Nelson bleibt total professionnel, was ich ihm hoch anrechne. Gegen drei Uhr morgens liege ich im Bett und schlafe erst eine Stunde später ein, da mir zu viel durch den Kopf geht. Die Bilder hab ich leider noch nicht, update folgt dann.
Nach dem Frühstück am Sonntag fährt mich Nelson an den Ortsausgang – ich werde mein Glück versuchen und nach San Pedro trampen. Laut Nelson ist das sicher hier und blonde Frauen haben die besten Chancen schnell mitgenommen zu werden. Ja, ich bin mittlerweile blond. Genau fünf Minuten warte ich bis das erste Auto hält.
Nelson werde ich übrigens auf dem Carnaval in Oruro wiedersehen – der größte in Bolivien. Er wird dort das Wochenende verbringen um Fotos zu machen. Wenn ich jetzt schon nicht nach Rio oder Salvador komme, dann ist das doch eine willkommene Gelegenheit.
Nach acht Stunden mit umsteigen und warten am Busbahnhof komme ich mit Lea-Lee und Quilla in diesem winzigen verschlafenen Dorf direkt am Meer an: breite sandige Straßen, zwei kleine Läden, in denen man alles Wichtige bekommt, allerdings nur über die Theke, und ein paar Restaurants, wobei irgendwie nie ganz klar ist, wann sie eigentlich geöffnet haben. Ganz schnell spüre ich, das ist ein Ort der Stille.
Lea-Lee und Quilla haben sich drei Nächte in einem Boot reserviert, ich schlafe im Backpacker-Zimmer, einfach aber sauber, ansonsten gibt es auf der Anlage noch ein paar Ferienhäuser und Zeltplätze. Unser direkter Blick aufs Meer erinnert mich an Szenerien aus der Traumschiffserie.
Lea-Lee und Quilla vor ihrer UnterkunftFerienhäuser/ Blick aufs Meer
Nachdem wir uns eingerichtet haben, kaufen wir eine Flasche Wein, essen im Restaurant auf der Terasse und legen uns danach bepackt mit dicken Decken in die Hängematten direkt am Meer und erzählen stundenlang. Normalerweise gehe ich den Deutschen auf meiner Reise ja eher aus dem Weg, aber die beiden sind super entspannt und da wir alle im sozialen Bereich arbeiten, gibt es hier viel, worüber wir uns austauschen können. Lea-Lee ist Erzieherin und Quilla arbeitet mit schwer erziehbaren Jugendlichen. Beide sind mit Herz dabei und verzweifeln manchmal an unfähigen Kollegen.
Erster Abend mit Lea-Lee und Quilla
Lea-Lee und Quilla sind alte Freundinnen und verwirklichen endlich ihren Traum durch Südamerika zu reisen. Quillas Vater ist zudem aus Peru und ihre Familie wird im Mai herkommen und zusammen werden sie für vier Wochen durchs Land reisen. Die romantische Liebesgeschichte ihrer Eltern fasziniert mich: eine Liebe auf den ersten Blick: ihr Vater war Straßenmusiker in Frankreich und ihre Mutter dort mit einer Freundin im Urlaub, sie läuft vorbei und schaut zu, sie sehen sich an und dann wars geschehen – heute noch spürt Quilla die Liebe zwischen den beiden.
Den nächsten Tag gehen wir gemütlich an und laufen zu einem Strand, der etwa eine Stunde entfernt liegt und weit und breit kein Mensch zu sehen. Einmal ins wirklich eiskalte Nass muss sein. Als ich gerade alleine draußen liege, nähert sich von hinten ein Wüstenfuchs, er scheint vorne im Sand etwas vergraben zu haben. Da er mehrmals hin und her läuft, bekommen die Mädels ihn auch noch zu sehen.Strandtag mit Wüstenfuchs
Es ist Valentinstag und im Restaurant wird gelockt mit Begrüßungsdrink, Menü und Musik. Von Romantik allerdings keine Spur und die Herzluftballons wirken fast fehl am Platz. Das Essen ist abgesehen von der Vorspeise auch enttäuschend und ist sein Geld nicht wert. Die Stimmung lassen wir uns dennoch nicht vermiesen.
ValentinstagAm nächsten Morgen fahren wir mit dem Boot Richtung Isla Damas. Hier kann man Delfine, Humboldt-Pinguine, Seelöwen und Vögel in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten. Ich komme mir vor wie in einer dieser Tierdokus – und wir mittendrin.
Isla Damas – Reservat für Humboldt-Pinguine
Den Nachmittag verbringen wir dösend in der Hängematte und machen gegen abend noch einen Spaziergang an der Küste entlang. Nach einem einfachen Abendessen leeren wir den letzten Wein im Boot der Mädels, morgen heißt es Abschied nehmen.
Am Morgen stehe ich mit den Mädels auf und die zwei verpassen doch glatt ihren Bus, da sie die Uhrzeit falsch verstanden haben. So können wir allerdings noch gemeinsam frühstücken und da sie erst nachmittags in La Serena sein müssen, ist mehr als genug Zeit. Ich schlage vor zu trampen, da es nur eine Straße gibt, das heißt, alle Autos haben das gleiche Ziel. Wir laufen zum Ortsausgang und zwanzig Minuten später kommt ganz unerwartet doch noch ein Bus – alles gut. Wir drücken uns einmal fest, ich winke ihnen hinterher, kehre zurück, setze mich mit Blick aufs Meer in den Sand, fühle in mich hinein und genieße das Rauschen der Wellen und die Wärme auf der Haut.
Als ich mich am Nachmittag mit Daumen raus an den Straßenrand stelle, nehmen mich nach fünfzehn Minuten zwei Männer mit, die geschäftlich hier zu tun hatten. Läuft bei mir.
Mitte Februar – wenn man mittendrin ist, vergeht die Zeit rasend schnell. Leben im Moment – einfach gesagt, fällt mir nicht immer leicht. Mein Kopf lässt mich noch zu oft nicht los. Keiner weiß, was morgen ist, nur heute zählt.
An unser Hostel in Pisco Elqui kommen wir durch Freunde von Félix: total gemütlich, sehr angenehme Atmosphäre und Cata, die den Sommer hier verbringt und sich um alles kümmert, ist immer für einen da. Wir spazieren durch den Ort, setzen uns auf ein Bier ins Restaurant Pisco Mistral, das stark an einen Biergarten erinnert und lassen den Abend im Hostel mit Wein am Feuer ausklingen.
Pisco Elqui ist ein magischer Ort: An jeder Ecke findet man Angebote für Meditation und Yoga, man kann seine Chakren stärken, Massagekurse, veganes Essen, in einem kleinen Laden gibt es sogar hausgemachte Mandelmilch. Neben vielen anderen haben tibetische Mönche in dee Gegend Energiewirbel festgestellt, was den Anteil der spirituellen Menschen mit ihren Angeboten noch steigert. Das Gefühl hier ist schwer zu beschreiben, aber der Ort ist durchflutet von einer Energie, die beruhigt und ausgleicht – man kommt zur Ruhe. Das Wetter ist warm bis heiß, 360 Tage im Jahr Sonne, ganz nach meinem Geschmack. Der Sternenhimmel hier ist dementsprechend beeindruckend.
Das ganze Elquital bietet einen traumhaften Anblick durch seine unzähligen Weinterrassen, die die Berge je nach Jahreszeit in rot, grün oder orange tauchen.
Ich stehe in der Küche und bereite Obstsalat zu. Durch die offenen Fenster dringen lachende Stimmen, es ist heiß, der Wind lässt die Blätter rauschen. Fühle mich plötzlich in meine Kindheit zurück versetzt und muss an Mama denken – wie sie für uns immer mit Liebe Obstschnitze und belegte Brote gerichtet hat, wenn wir auf der Straße spielten – Heimat…Geborgenheit…
Es soll hier ein Schwimmbad geben, von dem keiner so recht weiß, ob es nun in Betrieb ist oder nicht. Félix will natürlich unbedingt hin – als wir die wunderschöne Anlage betreten, blicken wir auf viel Naturstein, das Hallenbad und einen nagelneuen Fußballplatz. Irgendwo läuft ein Radio und weiter unten läuft jemand. Wir begrüßen den Mann, der hier zu arbeiten scheint und zunächst etwas kühl uns gegenüber wirkt. Félix erzählt von seiner Arbeit und schon werden die Gesichtszüge weicher; der Mann führt uns ins Schwimmbad und zeigt uns mit Stolz auch die Duschen und Umkleiden – ich bin beeindruckt: eines der schönsten Hallenbäder, die ich bisher gesehen habe: Naturstein an den Wänden, durch riesige runde Deckenlichter scheint die Sonne, beheizt wird das Becken mit Sonnenlicht – alles voll funktionsfähig! Leider fehlt das Personal, um das Bad wirklich in Betrieb zu nehmen, jemand wie Félix wäre perfekt. Trotzdem hat es Wasser und wird regelmäßig gereinigt. Am nächsten Morgen kommen wir eine Stunde zum Schwimmen.
So vergehen vier Tage in Pisco Elqui mit langen Spaziergängen, viel Lachen, interessanten Unterhaltungen, gutem Essen begleitet von Wein und Bier und Tiefenentspannung. Die Gäste im Hostel sind ohne Ausnahme alle sympathisch und wir verbringen den einen oder anderen Moment gemeinsam: sei es das Frühstück, Entspannen im Garten oder das Glas Wein am Abend.
Am Sonntagabend muss Félix zurück nach Santiago – die Arbeit ruft. Es fällt ihm sichtlich schwer sich heute von mir zu trennen und er nimmt den letzten Bus um acht abends. Auch ich habe ein wenig ein schweres Herz nach diesen intensiven gemeinsamen Tagen, weiß aber, dass wir uns wiedersehen werden und brauche außerdem Luft, Zeit für mich. Nach vielen Umarmungen und Küssen steigt er in den Bus, ich gehe zurück zum Hostel, leere dort den Rest unserer Flasche Wein und denke an die schönen Momente der letzten Tage.
Morgen fahre ich mit Lea-Lee und Quilla, zwei deutsche Mädels, die ein paar Monate durch Südamerika reisen, nach Punta de Choros, ein winziger Ort direkt am Meer, wo man Delfine, Humboldt-Pinguine und vieles mehr in freier Natur beobachten kann.
Gegen abend komme ich im Hostel an – fühlt sich direkt gut an hier. Einkaufen, duschen, kochen, schlafen.
Frühstück ist passabel, immerhin gibts Haferflocken, aber das beste ist die Dachterrasse! Den Vormittag verbringe ich gemütlich im Hostel und quatsche hier und da mit anderen Gästen. Dann mache ich mich auf an den Strand – eine Stunde bin ich unterwegs, da ich auf dem Weg noch die Stadt erkunde, die charmant übersichtlich ist. Es gibt viele alte historische Gebäude, gepflegtes Grün, einen botanischen Garten und viele Straßenmusiker.
Der Strand gewinnt sicher keinen Schönheitswettbewerb, aber er ist riesig und so findet man immer seine Ruhe, wenn man diese sucht.
Das Wasser ist kalt, aber einmal reinspringen muss sein. Ich döse, beobachte die Menschen um mich herum und genieße die Sonne auf der Haut, durch den frischen Wind schwitzt man gar nicht. Auf dem Heimweg kaufe ich noch Zutaten für Thaicurry, denn im Kühlschrank hab ich eine angebrochene Kokosmilch gefunden und die Küche lädt zum Kochen ein, das muss ich ausnutzen.
Mittwoch, achter Februar – mein Geburtstag. Als ich auf mein Handy schaue, lese ich ein paar Glückwünsche und mein Freund Benni hat mir eine Sprachnachricht geschickt, mit Geburtstagsgesang, schön seine Stimme mal wieder zu hören. Zum Frühstück setze ich mich auf der Terrasse in die Sonne und sehe eine email von Mama.
Seit ich unterwegs bin, hab ich sie erst zweimal gehört, viel Zeit war da nicht zum Reden und öffne jetzt eine lange email von ihr. Seltsam, so von ihr zu lesen, da wir sonst immer telefonieren. Ganz unerwartet bin ich unheimlich gerührt von ihren Worten und habe Tränen in den Augen. Das ist mit Abstand die schönste Nachricht für mich an diesem Tag.
Danke Mama, für alles, was du für mich – für uns getan hast! Und es tut gut zu lesen, dass es dir gut geht, dass du jetzt mehr für dich tust!
Den Tag hab ich für mich, Félix will erst am Abend kommen, und so schlendere ich über den großen Markt, der mit frischen Säften, Schokolade, Gewürzen, Souvenirs, Schmuck, Seifen, Taschen, frischem Brot, Kuchen und vielem mehr lockt. Ich kaufe Gewürze und ein paar Pralinen für Felix, denn er fährt total auf Schokolade ab.
Danach verbringe ich gefühlt zwei Stunden am Meer; als ich heimkomme, ist es nach sechs Uhr abends. Geburtstagsessen: vegane Pfannkuchen mit Banane. Als ich so auf der Terrasse sitze, viele Glückwünsche auf dem Handy lese und denke, irgendwie seltsam, wenn einen keiner drückt, stürmt auch schon die Schweizerin auf mich zu, die gerade von ihrem Ausflug zurück ist (ihr hatte ich vor zwei Tagen meinen Geburtstag verraten). Sie ist wunderbar herzlich, obwohl wir uns kaum kennen und ganz überrascht gratulieren mir dann auch die Menschen, die mit mir am Tisch sitzen.
Mitten in der Nacht, ich liege schon im Bett, kommt Félix mit zwei Flaschen Wein im Arm. Er entschuldigt sich mehrfach, dass es so spät geworden ist, was ich gar nicht schlimm finde sondern eher bemerkenswert, dass er überhaupt Zeit für mich freischaufelt, da ich weiß, dass er viel zu tun hat. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen brechen wir auf nach Pisco Elqui.
Kurz nach acht abends taucht Félix am verabredeten Treffpunkt auf. Ich bin fast überrascht, dass er so pünktlich ist, denn normal ist das für Südamerikaner ja nicht. Wie immer ist er ganz sportlich und mit kleinem Gepäck unterwegs. Irgendwie verrückt, dass ich ihn hier wiedertreffe. Für die nächsten zwei Nächte hat er ein Zimmer in einem Hotel außerhalb von Santiago in den Bergen reserviert, mit riesigem Swimmingpool, Jacuzzi und Sauna gibts auch. Nach der Anreise heute aus Buenos Aires schlafe ich besonders gut im frisch duftenden Bett.
Am nächsten Morgen bekommen wir Frühstück ans Bett gebracht, Felix fragt mich über meine Arbeit aus und was mir eigentlich wichtig ist – er ist ein verdammt guter Zuhörer.
Wir gehen eine Stunde schwimmen – der Pool ist mit der Grund, warum Félix diesen Ort ausgewählt hat, denn im Wasser fühlt er sich wohl und hat durch seine Arbeit schon unzählige Stunden im Nass verbracht. Eigenes Schwimmtraining, Personaltrainer, Aquabikes und vieles mehr. Er ist begeistert vom Effekt, den das Training im Wasser hat, ganz ohne Belastung der Knochen. Ein paar Tage später komme ich in die Gelegenheit, eine Stunde mit ihm an Aquabikes zu trainieren – seine stählernen Muskeln verwundern mich jetzt kein bisschen mehr.
Am Freitagabend essen wir im Hotel und Félix zeigt ernsthaftes Interesse an meiner Ernährung, fragt mich aus über meine Leistungsfähigkeit, den Effekt, den ich spüre und zieht ab da mit mir mit, da ihm sein Körper wichtig ist und bei meinen Kochkünsten fällts ihm noch leichter – wer hätte gedacht, dass ich einen Brasilianer zum Veganer mache – kommt in meinen Lebenslauf.
Den check-out am Samstag schaffen wir gerade so, da wir nicht aus dem Bett kommen. Dann wieder eine Stunde Schwimmen, Jacuzzi und chillen am Beckenrand.
Gegen abend fahren wir zurück nach Santiago, checken im Hostel ein, finden ein veganes Restaurant, essen Burger und trinken Limo und Bier.
Auf dem Heimweg kommen wir noch an zwei Themenrestaurants vorbei; ich bin erst unsicher, ob wir eintreten sollen, da wir ja nicht essen wollen, aber wir werden sogar fast gebeten, uns doch umzuschauen: so tauchen wir zuerst in eine Unterwasserwelt ein und man fühlt sich wahrhaftig, als wäre man in einem Uboot. Im anderen finden wir Wikingerrequisiten, die wir sogar benutzen dürfen – was ein Spaß!
Wieder fällt mir auf, wie mir die Manieren der Männer hier im Süden gefallen: die Frau geht immer zuerst durch die Tür, uns wird Schweres sofort aus der Hand genommen, die Männer spülen ab, und viele Kleinigkeiten mehr, die der Frau Respekt gegenüber zeigen. Die Männer bei uns habens aber auch nicht leicht mit Frauen, die auf ihre Unabhängigkeit pochen und alles alleine können.
Félix strahlt Ruhe aus, ist immer positiv, hört zu, ist aufmerksam. Er wartet nicht ewig, weiß, was er will, möchte keine Zeit verschwenden, wenn man will, ist alles möglich.
Am Sonntag beginnen wir mit einen fast vierstündigen Spaziergang durch Cerro Cristobal, der Touristenmagnet in Santiago, den wir am Hotel Novotel beenden. Dort hat Félix im Spa-Bereich sechs seiner Aquabikes und ich trainiere eine Stunde mit ihm – ich bin beeindruckt, er hats echt drauf! Danach noch Sauna, wo ich an Marina denken muss und unsere gemeinsamen Saunazeiten im Fitnessstudio – sie fehlt mir und ich vermisse diese Momente mit ihr.
Zurück in der Stadt machen wir uns auf die Suche nach Essen und landen schließlich in einem Restaurant am Plaza Brasil; wir bestellen ‚Completo‘: ein typisches Gericht in Chile, das so mächtig ist, dass es für zwei reicht, bestehend aus einer riesen Portion Pommes, darüber etwas Gemüse, getoppt von viel Fleisch. Wir bitten anstatt dem Fleisch um mehr Gemüse und löschen unseren Durst mit gutem Bier aus Chiles Norden. So geht ein erfüllter Tag zuende und ich fahre erst am nächsten Morgen weiter nach La Serena. Félix muss arbeiten, will aber zu meinem Geburtstag nachkommen.
Er betont immer wieder, wie wichtig ich ihm bin. Die Geschwindigkeit, mit der er vorangeht, ist fremd für mich. Bei uns in Europa läuft das meist anders. Und ich habe schon gescherzt, dass ich den Latinos nicht über den Weg traue, heute hier, morgen dort, kenn ich schon. Aber ich muss zugeben, seit Oktober ist er am Ball geblieben und er hat ja auch recht:
Warum Zeit verschwenden, wenn man jetzt weiß, was man will. Bei mir meldet sich der freiheitsliebende Vogel….
Puerto Varas ist postkartentauglich: direkt an einem riesigen See umgeben von Vulkanen. Einer davon ist Anfang letzten Jahres ausgebrochen, die Lawa schoss elf Kilometer in die Höhe – elf Kilometer! Das muss man sich mal vorstellen. Ein paar Häuser wurden durch die herabfließende Lawa zerstört, aber zum Glück niemand verletzt.
Meine Unterkunft ist wie ausgestorben und macht einen ziemlich traurigen Eindruck, daher lege ich meine Sachen ab und laufe zum Hostel, das pro Nacht fünf Euro teurer ist, dafür aber um Welten besser und buche mich für die restlichen drei Tage hier ein: relativ neu, top Küche zum Kochen, viel Platz im Bett, Regendusche mit gescheitem Wasserdruck – ach ja, hier lässt es sich aushalten.
Danach treffe ich mich mit Jason, einem Freund von Felix (meine Bekanntschaft aus Salvador). Mit Felix bin ich die ganze Zeit über in Kontakt und da er auch in Chile arbeitet, kennt er hier ein paar Leute. Jason kommt aus Oregon, verdient sein Geld hier als Guide und macht Kurse mit Kindern, um ihnen die Natur näher zu bringen. Er gibt mir einen Überblick, was ich hier alles machen kann, wo ich ein Fahrrad leihen sollte und bietet an, morgen eine Tour mit mir zu machen: in einen Teil des Regenwaldes hier am Fuße des Vulkans. Ist nicht ganz billig, aber ich sage zu – habe das Gefühl, das könnte interessant werden.
Noch am selben Abend findet in einer Bar am See ein Couchsurfing Treffen statt, was mir gerade recht kommt, da in meinem Hostel wie gesagt tote Hose ist. Ich treffe auf ein paar Chilenen, die entweder von hier sind oder gerade hier arbeiten, was mir die Möglichkeit gibt, mein Spanisch weiter zu üben.
Um neun Uhr am nächsten Morgen holt mich Jason ab. Ich lade mein komplettes Gepäck in seinen Kombi, da er mich abends direkt zum neuen Hostel bringen wird. Bevor wir mit dem eigentlichen Hike beginnen, fahren wir knapp zwei Stunden auf der Carretera Austral: es gibt viel zu sehen und ich bin ganz gefesselt als Jason vom letzten Vulkanausbruch erzählt, da er einen Tag vorher sogar noch oben war. Unser Gespräch führt uns zu Zielen, Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten im Leben – wir verstehen uns ohne große Erklärungen, da er schon die gleichen Phasen durchlebt hat wie ich gerade. Er hat seine Leidenschaft gefunden und seine Faszination für die Natur ist so lebendig, dass ich mich frage, was meine große Liebe ist.
Du musst dich fragen, für was dein Herz schlägt, was dich begeistert und diesem Ruf folgen.
Am Nationalpark angekommen parken wir das Auto und laufen los. Das Wetter ist perfekt: sonnig, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Zunächst bewegen wir uns auf normalen Wanderwegen bis Jason mich fragt, ob ich bereit bin einen weniger benutzten Pfad zu gehen, der wahrscheinlich etwas schwieriger ist – was für eine Frage – let’s go!
Die Wege sind mal steinig, mal aus Holz, manchmal auch matschig und ich bemühe mich, keine nassen Füße zu bekommen – dabei hieß es meine Laufschuhe sind ausreichend. Ja ja – das hat er geschickt eingefädelt um mich nass zu sehen, scherze ich.
Regelmäßig halten wir kurz an und Jason erzählt mir hier und da etwas zu den Pflanzen und Bäumen, die wir passieren. Er lässt mich an Blättern riechen, Sträucher und Moos berühren und die Größe und Form der uralten Bäume hier bestaunen. Es ist faszinierend und ansteckend, mit welcher Begeisterung er durch den Wald geht.
Dann geht es einen schmalen Pfad hinauf und wir erreichen zwei kleine Holzbänke inmitten riesiger Bäume. Wir setzen uns und ich lerne wie Bäume miteinander kommunizieren, sich auch außerhalb ihrer Art gegenseitig helfen und erfahre einen Moment des größeren Zusammenhangs als wäre ein Denken der Natur vorhanden, da das Zusammenspiel perfekt ist.
Es geht nicht darum, stärker als andere zu sein sondern darum zu teilen, damit alle überleben und stark sein können.
Jason spricht von der Distanz zwischen Mensch und Natur: wie so viele einmal im Jahr ‚in die Natur‘ fahren, sich erholen um sich dann wieder von neuem in den Stress zu stürzen. Dabei sind wir selbst Natur und müssen uns wieder als Teil dieser erkennen um mehr Einklang mit ihr zu schaffen, mehr Bewusstsein, mehr Einsicht, was letztendlich zu Taten führt, die verdammt nochmal bewahren und nicht zerstören.
Jason weiß, dass man auf Reisen selten Momente für sich alleine hat und läuft schon mal vor um mir Zeit für mich an diesem Ort zu geben. Ich blicke in den Himmel, atme tief ein und aus und spüre die Lebendigkeit der Natur.
Mit einem Picknick ganz nach meinem Geschmack beenden wir unseren Ausflug.
Am nächsten Tag mache ich auf Jasons Empfehlung hin eine Fahrradtour in den 35km entfernten Ort Frutillar mit deutschem Einschlag, da die Landschaft dorthin zu schön ist um mit dem Bus durch zu rauschen. Der Typ im Fahrradverleih meint noch, dass die Strecke nicht ohne ist, fragt mich wie fit ich bin und ob ich einen Reifen flicken kann (dank Papa ja); eine Abkürzung gibts auch, die richtig hart ist, weil aus Schotter, aber dafür acht Kilomenter weniger. Mal schauen, den Hinweg fahre ich auf jeden Fall am See entlang.
Mit Helm, Flickzeug, viel Wasser und Proviant fahre ich los und muss mich zurückhalten, nicht dauernd anzuhalten um Fotos zu schießen, denn die Gegend ist wirklich wunderschön, aber so komme ich nie an. Der Schotterweg führt mich gleich zu Beginn entlang alter Zuggleise: ganz schön eng und nicht ganz einfach, muss ganz schön aufpassen, sehe mich schon im Graben liegen – dass sowas überhaupt als Fahrradweg bezeichnet wird.
Nach viel mehr Schotter und Blumenwiesen kommt endlich der Asphalt. Dafür geht es jetzt allerdings stetig bergauf und ab. So eine steile Bergaufphase kann schon mal zwanzig Minuten dauern und ich bin sooo kurz davor zu schieben. Ich brülle die Anstrengung heraus – die Blöße gebe ich mir nicht – dabei ist kein Schwein unterwegs hier, würde also niemand sehen, aber mein Ehrgeiz lässt das nicht zu. Ich muss an meine Volleyballer Steffi und Thorsten denken und wie Steffi immer kichert, wenn sie die kleinen Gänge an ihrem Fahrrad einlegt und scheinbar mit null Anstrengung bergauf fährt, wenn wir Mannemer unsere LU- Freunde besuchen. Die soll ihr Fahrrad mal hierher bringen! Fuck, ist das hart! Wo es hoch geht, gehts auf wieder runter und zwar lange und schnell. Der Fahrtwind trocknet meinen Schweiß und ich werde von Hügel zu Hügel mutiger, bremse weniger und steige mit mehr Schwung am nächsten Berg in die Pedale. Die Landschaft ist absolut rein und idyllisch und ich höre nichts außer Vögel, Wind und Stille, was einen Großteil meiner Erschöpfung wieder gut macht.
Mit knurrendem Magen komme ich in Frutillar an und verdrücke direkt meine Erdnussbutterbrote und einen Apfel. Der Ort ist wirklich winzig: malerischer See mit Steg, eine Konzerthalle, Cafés, die deutschen Kuchen anbieten und ein paar Restaurants. Weiter oben am Berg gibts nen kleine Park, da bringt mich jetzt aber keiner hoch. Dass die hier alle so abfahren auf typisch deutsche Häuser – siehts bei uns wirklich so aus? Ich schlendere durch zwei Straßen, knipse schöne Bilder am See und dann steht der Heimweg an.
Mindestens zwei Stunden wird das dauern und mein Arsch tut jetzt schon weh. Ich entscheide mich für die Abkürzung, denn bei dem Gedanken an die langen Talfahrten, die ich hatte, vergehts mir. Da geb ich’s mir lieber kurz und dreckig. Das könnt ihr übrigens wörtlich nehmen, denn die Abkürzung besteht komplett aus staubigem Schotter und geht, wer hätte es gedacht, steil auf und ab – wenn ich da mal nicht auf die Fresse fliege.
Fix und fertig mit siebzig Kilometern in den Beinen und leichtem Zwicken im Knie komme ich gegen sechs Uhr abends nach Puerto Varas. Jetzt nur noch das Fahrrad abgeben und drei Kilometer heim laufen – ein Katzensprung. Im Hostel koche ich, trinke wohl verdienten Wein und chille – tolle Atmosphäre hier. Bin stolz auf mich, hab den Kopf frei bekommen und alleine sein war heute auch gut.
An meinem letzten Tag hier regnet es unaufhörlich in Strömen. Ideal um nichts zu tun, einfach nur abzuhängen, essen, Tee trinken, quatschen. Um 17Uhr habe ich das Skype Interview mit der Schule in Puebla in Mexiko. Hört sich alles sehr gut an und die Arbeit wäre ähnlich wie zuhause; zudem ist es dort das ganze Jahr warm; jetzt noch alle Unterlagen hinschicken, dann gehts weiter, also abwarten.
Am Samstag nehme ich den Bus nach Bariloche in Argentinien und verlasse damit Chile. Zur Grenzkontrolle gibt es noch eine kleine Anekdote: am Schalter der chilenischen Grenze treffe ich auf den ersten wirklich gut aussehenden Chilenen: er wirft einen Blick auf meinen Pass, schaut mich an und sagt:“So Sarah, you are 35 years old?“ Ich:“Si“ Nach kurzem Innehalten fragt er:“Are you single?“ What? Hat der das gerade wirklich gesagt? Ich muss lachen und grinse ihn an. Wir tauschen noch schnell einen Blick aus und dann muss ich auch schon weg. Flirtet der Grenzbeamte doch tatsächlich mit mir! Und genau das liebe ich an Südamerika: nicht alles so steif, wir sind doch alle Menschen mit Gefühlen.
Ricardo, mein Couchsurfing Gastgeber, holt mich vom Busterminal ab. Mit einem strahlenden Lachen im Gesicht umarmt er mich und wir laufen zu ihm nach Hause. Wie ich so neben ihm hergehe, spüre ich seine positive lebensfrohe Ausstrahlung, die mich entspannt. In seiner kleinen kuscheligen Wohnung mit vielen Details, die es zu entdecken gibt, plaudern wir bei Chai-Tee und Ricardo wird mir mit jedem Moment sympathischer und vertrauter: er hat eine Flamenco Tanzschule, eine Ausbildung in der Behandlung mit Magneten und besitzt spirituelle Fähigkeiten, die mich faszinieren.
Ricardo’s home
Wieder einmal bin ich erstaunt: Menschen, die uns begegnen, treten nicht durch Zufall in unser Leben. Wenn wir aufmerksam wahrnehmen, uns öffnen, Veränderungen zulassen, werden wir bereichert, begleitet von einem Gefühl tiefer Erfüllung.
Nachdem wir im besten Restaurant der Stadt Falafel Sandwiches essen und echt gutes Bier aus Valdivia trinken, machen wir einen langen Spaziergang, der uns entlang am Fluss mit Seelöwen, durch einen kleinen Markt führt, hin zur anderen Uferseite in eine ruhigere gehobenere Wohngegend. Direkt am Wasser machen wir auf einer Wiese halt und setzen uns ins Gras. Hinter uns die schicken Villen schauen wir auf Schilfgras, Wasser und riesige Wälder. Flora und Fauna sind verblüffend ähnlich zu meiner Heimat in Deutschland. Obwohl wir uns erst seit ein paar Stunden kennen, empfinde ich auch die Stille mit Ricardo als sehr angenehm und so dösen wir im Gras liegend und schlafen sogar kurz ein.
My personal city guide
Im Gras liegen, tief ein- und ausatmen und genießen
Zurück zuhause trinken wir mehr Tee, sein Schüler Nico kommt für eine Stunde vorbei um für einen Auftritt morgen Abend Flamenco Lieder auf der Gitarre zu üben. Danach ruhen wir uns aus, Ricardo zeigt mir seine Lieblingsmusik und gegen elf abends ziehen wir los – ist schön, sich mal wieder rauszuputzen, wenn man sonst dauernd in Sportleggins und T-shirt rumrennt. Ricardo liebt übrigens Hüte, ich habe mindestens zwanzig gezählt.
Sushi!
Erste Anlaufstelle ist ein Sushirestaurant – sehr lecker! Nach einem Bier in der Karaokebar gegenüber, zum Singen kommen wir aber nicht, bringt uns ein Taxi zum größten Hotel der Stadt, das auch einen eigenen Club hat. Dort treffen wir die zwei Jungs, mit denen wir uns schon in der Bar unterhalten hatten. Es gesellen sich noch zwei Mädels dazu und wir quatschen, tanzen, lachen und knabbern Erdnüsse. Irgendwann verabschiede ich mich mit Ricardo und zu zweit fahren wir zurück ins Zentrum in den zweiten Club. Im Außenbereich werde ich überrascht von guter Elektromugge und wir bewegen uns zum Beat.
Was gehört zu einer durchgefeierten Nacht? Essen! Hier gibts weder Döner noch Grieche, also landen wir um fünf morgens bei Subway – ja, da gibts auch was veganes. Begleitet von Vogelgezwitscher laufen wir nach hause und nach einem perfekten Tag schlafe ich lächelnd ein.
Nico kommt am nächsten Mittag mit Brot und wir frühstücken gemeinsam. Die beiden fahren heute für eine Show nach Puerto Montt und ich werde bis morgen mittag alleine sein. Da es den ganzen Tag regnet, verlasse ich die Wohnung heute nur um Essen zu kaufen. Ich mache mal wieder meine Übungen, und kümmere mich um meine Weiterreise. Da ich mich so wohl bei Ricardo fühle und noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen möchte, werde ich einen Tag länger als geplant hier bleiben. Außerdem vermisse ich Brasilien, ich sollte mal länger an einem Ort bleiben, der mir wirklich gefällt.
Am nächsten Tag kaufe ich mein Busticket und alle Zutaten für das Thaicurry, das ich heute Abend für Ricardo kochen werde. Irgendetwas lastet auf mir, aber ich kann es nicht greifen, bin den Tränen nahe. Ich mache einen langen Spaziergang am Flussufer, setze mich auf eine Bank in die Sonne und muss weinen. Ich verstehe selbst nicht so ganz, was in solchen Momenten mit mir los ist. Ich hab kein klares Ziel vor Augen, will nicht zurück in alte Muster, mehr vom Leben, erfüllende Momente mit spannenden guten Menschen teilen.
Ich bereite alles fürs Essen vor und fange direkt an zu kochen als Ricardo abends nach verspäteter Busfahrt heimkommt. Sein junger Cousin, mit dem er zusammenlebt, ist auch da. Die beiden schwänzeln um mich rum, angelockt vom Duft, der aus dem Topf strömt. Bruschetta mit Avocado, Tomate und Walnüssen verkürzt die Zeit des Wartens. Wir stoßen an mit Malbec und mich freuts, dass mein Thaicurry schmeckt. Die Schokopralinen, die ich heute gekauft habe, runden unser kleines Menü ab. Wir reden noch eine ganze Weile und als es Schlafenszeit ist, überlässt Ricardo mir sein Bett und schläft selbst auf dem Sofa. Ganz viel Herz, dieser Mann!
Ricardo hat um zehn eine Schülerin, die er selbst fast vergessen hätte und so haben wir leider nicht viel Zeit am Morgen. Ein letzter gemeinsamer Tee, eine feste Umarmung, er geht und ich verlasse wenig später mit seinem Cousin die Wohnung Richtung Busterminal. Nächstes Ziel Puerto Varas.
Mit dem Nachtbus gehts nach Pucon und am nächsten Morgen checke ich im Chili-Kiwi-Hostel ein, welches letztes Jahr die Auszeichnung zum besten Hostel Chiles bekommen hat. Direkt am See genießt man Bilderbuch-Aussicht, hinter dem Haupthaus trifft man auf einen Bereich mit Laub- und Kirschbäumen inmitten einer riesigen Holzhütte mit Küche und Essbereich, einer Art Bungalow, ganz neu, mit zwei Zimmern, Bad und weiterer Küche, außerdem zwei Hobbithäuser (der Besitzer ist aus Neuseeland), Sitzbänke und ein Essbereich im Freien mit Sonnenschirm – alles in allem eine verdammt idyllische Anlage, die Küchen sind vorbildlich ausgestattet und die Zimmer mit einigen Detais versehen, die den Wohlfühlfaktor für einen Backpacker enorm erhöhen: Steckdose und Licht am Bett, gute Matratze ohne Plastik, Steckdose im Locker, Holzbetten, genug Platz.
Nachdem ich mich eingerichtet und für die Besteigung des aktiven Vulkans Villarica angemeldet habe, erkunde ich den Ort. Der deutsche Einfluss der Kolonien von damals ist nicht zu verkennen. Ich kaufe eine Flasche Wein und Proviant und entspanne den Rest des Tages. Abends gibt es noch eine kurze Einweisung für morgen – um sechs Uhr gehts los.
Im Morgengrauen werden wir ausgestattet mit Rucksack, Helm, Jacke, Stiefeln, Schneeschutz, Eispickel, Handschuhen und Gasmaske. Dann wird alles auf einen Pickup geladen und unsere Gruppe, bestehend aus zwölf Touristen und vier Führern fährt im Van und Pickup zum Fuß des Vulkans, wo die eigentliche Besteigung beginnt.
Schon in der ersten halben Stunde kämpft eine Frau mit der Anstrengung und ist kreidebleich im Gesicht – das schafft sie nicht. Auch mir wird schwindelig, ich befürchte, dass mein Kreislauf nicht mitmacht und konzentriere mich auf jeden einzelnen Schritt – bloß nicht umkippen jetzt. Wenig später legen wir aber die erste Pause ein, ich esse ein paar Kekse und fühle mich direkt besser. Von da an bin ich vorne mit dabei.
Zuerst laufen wir auf erdigem felsigen Boden, doch irgendwann kommt das Eis und der Eispickel kommt zum Einsatz, der uns mehr Halt und Stabilität gibt. So gehen wir in Reihe hintereinander her in den Fußstapfen des Vordermanns. Je höher wir kommen desto langsamer werden die Schritte. Manchmal würde ich gern schneller gehen und dann bin ich wieder froh um das langsame Tempo. Es gibt Momente der Stille, in denen keiner spricht und nur unsere Schritte im Schnee zu hören sind. Jeder scheint entweder konzentriert oder in Gedanken vertieft zu sein. Mir kommen Luftaufnahmen von Bergbesteigungen, wie ich sie im Fernsehen gesehen habe, in den Sinn. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Mit voran schreitender Zeit wird es wärmer, doch die Luft bleibt kalt, so dass ich meine vier Lagen Kleidung anbehalte. Die bleiche Frau muss auf halber Strecke umkehren.
Mit regelmäßigen Pausen erreichen wir den Gipfel auf 2850 Metern nach fünf Stunden. Seit zwei Stunden quält mich meine Blase! Wir legen ab und ich kann mich endlich hinter Felsbrocken erleichtern – bei der Aussicht kann man sich richtig entspannen. Ich muss nur aufpassen, nicht mit runter gelassener Hose hinter dem Felsen vorzurutschen. Bei der Vorstellung muss ich schmunzeln, geht aber alles gut.
Jetzt dürfen wir zum Krater und hoffen alle, Lawa zu sehen. Die Windrichtung ist günstig sodass wir die Gasmaske gar nicht brauchen. Wir schauen in die Tiefe und da ist sie – man kann die kochende Masse sogar hören und die Jungs in der Gruppe können sich gar nicht vom Anblick lösen. Nach zehn Minuten müssen wir Platz machen für die nächsten und es ist außerdem vorgeschrieben sich nicht länger hier aufzuhalten.
Dann kommt der Teil, der unsere Kinderherzen höher schlagen lässt: im Rucksack finden wir eine Schneehose, extra Schutz für den Hintern, wasserdichte Handschuhe und einen Rutschteller. Es werden ein paar Regeln vorgegeben, damit nichts passiert und dann gehts ab. Wir rutschen auf unseren Tellern in Schneebahnen wie in einer Art Rodelbahn den Vulkan hinunter, der Schnee spritzt nur so, wir jubeln und jauchzen und kommen mit leuchtenden Augen unten an. ‚Das ist besser als Machu Pichu‘ höre ich von einigen, die schon in Peru waren.
Zurück im Hostel gibt’s für jeden ein Bier und wir sitzen noch eine Weile zusammen. Nach der Dusche besorge ich Zutaten für einen riesigen Salat – ich kann die ganzen Kohlenhydrate nicht mehr sehen und fühle mich sowieso schon wie ein aufgeblasenes Hefebällchen! Ich öffne den Wein zum Essen und um zehn falle ich todmüde ins Bett. Einmal mehr bin ich dankbar für die neuen aufregenden Erlebnisse.
Heiße Quellen, Kayak fahren auf dem See, Reiten, Skydiving, Hiking – all das und vieles mehr ist hier möglich. Mir ist aber mehr nach Abhängen im Hostel und so verbringe ich den Tag mit blättern im Reiseführer, wähle ein paar Orte, die ich sehen möchte, schaue nach Hostels und Couchsurfern. Weihnachten ist immer noch nicht klar wo. Danach kommen meine Schwestern Anne und Ellen für drei Wochen, Anfang und Ende in Buenos Aires. Das ist also schon mal fix. Ich skype mit meiner Freundin Vanessa – tut gut sie mal wieder zu hören, zu sehen und meine Gedanken mit einer vertrauten Person zu teilen. Später das gleiche mit meinem Bruder Baldi.
Es geht nicht darum, wo ich auf der Welt bin. Das wird mir nicht den inneren Frieden bringen.
Ich habe übrigens eine Anfrage aus Puebla in Mexiko; nächste Woche Skype-Interview. Ob mir diese Erfahrung den Frieden bringt? Oder einfach noch ein Jahr mehr in der Welt unterwegs sein? Das Gefühl länger zu reisen, überwiegt momentan. Die Zeit vergeht schnell – schon drei Monate, in zwei Wochen ist Weihnachten.
Heute ist glaube ich Samstag und ich muss ich wieder früh raus, mein Bus nach Valdivia weiter im Süden fährt um 8:40. Es regnet! Da erst merke ich, dass ich in den letzten drei Monaten quasi keinen Regen hatte und ihn auch nicht vermisst habe, wenn ich mir den grauen Himmel so anschaue. Ich bin einfach ein Sonnen- und Warmwetterkind. Während ich alles zusammenpacke und Kaffee trinke, unterhalte ich mich mit einer Französin, Ende 30, lebt und arbeitet in London als Anwältin und reist das erste Mal allein für knapp drei Monate, kein Freund, hat sich auch schon mal gefragt, ob mit ihr was nicht stimmt, lernt auf ihrer Reise geselliger zu sein. Wir umarmen uns und ich laufe durch den Regen, begleitet von Straßenhunden, zum Busterminal.