Anna Maria Island, Florida

04 – 12 Januar 2018

Taxi, Zug, Flieger, Mietwagen – in zweiundzwanzig Stunden von Ludwigshafen nach Anna Maria Island! Mit dem gemieteten Cadillac, der neben Navi mit jeglichem Schnickschnack ausgestattet ist, finde ich vom Flughafen in Orlando ohne Umwege zu Robyn und ihrer Mutter Janet, Ankunft 23Uhr Ortszeit.

Robyn begrüßt mich stürmisch und kann kaum glauben, dass ich da bin; Auch ihre Mutter strahlt, als sie mich sieht. Ich freue mich hier zu sein und es fühlt sich gut an so willkommen zu sein. Ein Glas Wein muss sein, wir erzählen ein wenig, dann lacht mich aber auch schon das Bett an, ich bin ziemlich erledigt.

Die beiden wohnen in einem Trailer, eine Art Mobilheim, welches mit Sommerhausfeeling besticht und mit allem ausgestattet ist, was man braucht. Janet hütet die Bleibe für einen Freund und verbringt somit wie viele andere sogenannte „snow birds“ die Wintermonate in Florida, um dem kalten Wetter in Kanada zu entfliehen; Robyn’s Arbeit lässt es dieses Jahr zu, insgesamt einen Monat hier zu genießen. In die kleine Wohnanlage Sandpiper Beach kann man sich nur mit Mindestalter von 55 Jahren einkaufen. Kein Wunder also, dass die Uhren hier etwas langsamer ticken und alle so tiefenentspannt wirken – Rentnerparadies ist das erste, was mir dazu einfällt. Die Lage direkt an der Küstenwasserstraße ist besonders und wird sicher von vielen Nachbarn beneidet.

Sonnenuntergang direkt vor der Haustür

Bei einem Spaziergang am Strand zeigt Robyn mir die Umgebung – süße kleine Häuschen, eine lange Hauptstraße, die am Meer entlangführt, es ist Nebensaison, daher ziemlich ruhig und kaum was los am Strand; unerwartet kalt ist es! Im Norden Floridas hat es zum ersten Mal seit 29 Jahren geschneit, wir sind zum Glück etwas südlicher. Aber die Temperaturen sind gar nicht so wichtig, denn die Sonne scheint, wir sind am Meer, Sand, Möwen, Urlaubsstimmung – was brauche ich mehr?

Spaziergang am Bradenton Beach

Anna Maria Island ist eine kleine bisher noch relativ unbekannte Insel vor der Westküste Floridas am Golf von Mexiko, ca 90km von Tampa entfernt. Unendlich lange Strände mit viel Platz, klares Wasser, es gibt keine Hochhäuser (Obergrenze von 20,5m ist gesetzlich geregelt), somit keine abturnenden Hotelketten, die jedem Strand ihren Charme nehmen, ebenso findet man kaum Fast-Food-Restaurants. Dafür kleine Hotels, Apartments und Restaurants mit typisch amerikanischem Flair entweder direkt am Strand oder nur wenige Straßen entfernt. Ein kostenloser Bus, hier Trolley genannt, macht ein Auto auf der Insel überflüssig.

Bradenton Beach
Sandpiper Resort – das kleine Rentnerparadies

Da ich am letzten Abend in der Heimat noch mit den Nachwirkungen des Weins zu kämpfen hatte, war der Abschied von Deutschland nicht so tränenreich wie befürchtet und ich ermahne mich regelmäßig im Hier und Jetzt zu bleiben um mich nicht unnötig zu stressen; im Moment ist alles gut wie es ist. Wie es sich gehört für Strandurlaube leben wir einfach in den Tag hinein: gemütliche Vormittage, ich bin fürs Essen zuständig, wir spielen Karten und Robyn bringt mir das Spiel Cribbage bei, Spaziergänge am Strand, auch Sonnenbaden lässt das Wetter drei Tage zu, wir betrachten den Sonnenuntergang, sehen Delfine, spielen Frisbee und testen die Fahrräder hinterm Haus, die sich schnell als zu verrostet herausstellen, kommen aber ein paar Tage später trotzdem in die Gelegenheit einer kleinen Fahrradtour, zu der uns ein Nachbar einlädt.

Abends schaut Janet Jeopardy und Glücksrad – das ist fest in ihren Tagesablauf integriert.

Ich bin zunächst etwas träge, aber Robyn motiviert mich, am Strand joggen zu gehen, was mich so vitalisiert, dass ich die übrigen Tage mit einem Lauf direkt am Meer kurz nach Sonnenaufgang beginne: Frühnebel, Stille des Morgens, den Geruch des Ozeans in der Nase, Meeresrauschen, Vögel folgen den Wasserbewegungen mit trippelnden schnellen Schritten und picken ihr Futter aus dem Sand, das knirschende Geräusch der Schuhe, kleine Muscheln überall. Abgerundet wird die morgendliche Routine mit einem Sprung ins eiskalte Wasser, das einem fast den Atem nimmt, gefolgt von Meditation.

An diesem kleinen Fleck der Erde kommt man zur Ruhe, keinerlei Stress spürbar, dementsprechend entschleunigt scheint alles, genug Zeit zum Nachdenken… Hier und jetzt.

Ich lerne Robyns Cousin Don kennen, der in der Nähe lebt und wir verbringen einen Abend gemeinsam: nach dem ersten Cocktail wechseln wir zu einem Pizzaplace, anschließend will sich Don richtig mit uns besaufen, aber ich lehne ab – auf das Gefühl habe ich mal überhaupt keine Lust. Trotzdem fühle ich mich am nächsten Tag verkatert – zu viel Zucker in den Getränken. Ich beschließe, bis zu meinem Geburtstag im Februar Alkohol und Zucker zu streichen. Mal sehen wie standhaft ich dieses Mal bin.

Flaniermeile am North End
Drinks mit Robyn und Don

Übrigens gehe ich jetzt in die Vollen und habe zwei weitere Jahre Beurlaubung beantragt. Keine Ahnung, wie ich mich finanziere, aber nach wie vor bin ich auf der Suche, will mehr entdecken und bin nicht bereit heimzukehren. Ich vertraue dem Leben, den Gelegenheiten, die mir begegnen werden. Kommt Zeit, kommt Rat.

Eines Morgens wache ich mit einem unzufriedenen Gefühl auf, was sich durch den ganzen Tag zieht und ich kann zunächst nicht genau greifen, woher es kommt. Auch der Lauf am Strand hilft dieses Mal nicht. Mir fehlen meine Menschen von zu Hause, mein sozialer Kreis, Rainer und Vera schreiben mir, dass sie mich vermissen, wie sehr sie die gemeinsame Zeit genossen haben, geht mir genauso. Nicht an dem Leben meiner Freunde und Familie teilhaben zu können, fällg gerade besonders schwer.

Unsere Zeit ist so begrenzt, dass wir sie doch mit Menschen verbringen sollten, die uns ein Lachen ins Gesicht zaubern und uns Liebe entgegen bringen.

Robyn ist wie immer zuckersüß und freut sich über jeden Moment mit mir. Ich dagegen habe eine Art Lagerkoller, brauche Stunden für mich, einen Ort um mich zurückzuziehen. Dieses Gefühl wird sich in den nächsten Tagen noch verstärken, doch letztendlich finde ich mithilfe Robyn’s einfühlsamer Art einen Weg mir Freiraum zu verschaffen.

Nach acht Tagen auf der Insel packe ich ein weiteres Mal meinen Rucksack. Wohin es geht? Ich habe beschlossen, mit Robyn zurück nach Kanada zu fliegen. Sie tut mir gut und in den letzten sechzehn Monaten bin ich zu oft aufgebrochen, obwohl ich mich wohlfühlte. Zudem bietet Kanada die Möglichkeit, mit meinem Visum vielleicht doch noch etwas Geld zu verdienen. Also ab in die Kälte – dass ich mal freiwillig in den Winter reise, wer hätte das gedacht.

Don bringt uns zum Flughafen, wo dieses Bild zustande kommt und mich in typischer Pose in all diesen Monaten zeigt; meinen Rucksack nenne ich auch liebevoll ‚mein Haus‘. Wenn ich sie auch ab und zu schief anblicke, weil sie von allem und jedem Fotos schießt, muss ich Robyn schon rechtgeben, dass ich dankbar für die vielen Bilder bin.

mit Hab und Gut beim Check-in

Ein geplanter Weg ist wie eine Mauer vor perfekten Momenten. – Hans Kruppa

Good old Germany – Teil 2: Weihnachten und Kurztrip nach Österreich 

23 Dez 2017 – 04 Jan 2018

Noch ein Tag bis Weihnachten! Nach einem gemütlichen Frühstück mit Vera, Rainer und Paul fahre ich mit Vera noch kurz nach Mannheim in die Stadt, um ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Wir laufen über den Markt mit der Ausschau nach ein paar schönen Blumen, sind aber spät dran, also ist die Auswahl begrenzt. Vera kennt noch einen Blumenladen in der Nähe der Fressgasse. Das Konzept dort ist interessant und mittlerweile öfter anzutreffen: zwei Serviceanbieter in einem, hier Blumenladen kombiniert mit Friseur.

Scherenschnitt Calandi in Mannheim

Am Nachmittag mache ich mich auf zu meinen Eltern nach Dühren, vier Nächte werde ich dort bleiben. Vera winkt mir aus dem Fenster hinterher – goldig, berührt mich!

Mama ist am Kochen, es herrscht gute Stimmung, nach und nach trudelt einer nach dem anderen ein, die letzten kommen morgen an. Um acht abends hole ich Ellen vom Bahnhof in Sinsheim ab, vor fast einem Jahr haben wir uns das letzte Mal gesehen als sie und Anne mich in Argentinien besucht haben.

Ellen, Anne und ich in Uruguay

Am nächsten Morgen gehen wir zu dritt joggen im Dührener Wald – Heimat pur! Als wir zurückkommen, schwingt Minh schon den Kochlöffel. Mama hat einiges vorbereitet, aber Minh kocht seit ein paar Jahren auch immer mindestens ein Gericht. Als Oma noch lebte, gab es traditionell immer Würstchen und Kartoffelsalat, danach hatten wir schon die wildesten Weihnachtsessen. So gab es in einem Jahr asiatische Sommerrollen von Minh – Anne und Ellen schwärmen heute noch davon und versuchen dieses Gericht jede Weihnachten wieder durchzusetzen. Auch der Weihnachtsgottesdienst war eigentlich immer obligatorisch, doch nach und nach hatten wir fast alle keine Lust mehr, was nicht zuletzt an der eintönigen Gestaltung in der Kirche lag. Gläubig im herkömmlichen Sinn sind wir auch nicht, haben aber die komplette Kirchenschule hinter uns, was definitiv gut für die Allgemeinbildung war. Da unsere Nichte Soraya dieses Jahr Konfirmandin ist und das Krippenspiel mitgestaltet, lassen wir uns breitschlagen, zum Gottesdienst zu gehen. Alla hop, auf die guten alten Zeiten nochmal.

Wir sind früher zurück als Mama uns erwartet hat und das Essen ist noch nicht fertig, was aber gar nicht schlimm ist: wer will, bekommt ein Glas Wein von mir in die Hand, wir quatschen, albern rum, und genießen es einfach zusammen zu sein. Heute sind wir siebzehn Personen. Neben dem großen Kern sind noch Diemy’s Schwester und Mann zum Essen da, Mama hat mal wieder noch mehr Leute eingeladen: Hamada, der Mitbewohner unseres Bruders Manuel, ein Syrer, der schon richtig gut Deutsch kann und hier Sport studieren will und Lamin aus Ghana, dem Mama geholfen hat Deutsch zu lernen und der immernoch regelmäßig vorbeikommt. Er taucht letztendlich erst am zweiten Feiertag auf, hat den Bus verpasst. Ich amüsiere mich, als Mama mit Ellen eine Sitzordnung festlegt, die wir eigentlich sonst nie haben: Mama: „der Intelligente (wir kennen den Namen zunächst nicht) sitzt neben Sarah.“ Ich nehme das mal auf mehreren Ebenen als Kompliment.

Wir verbringen unseren Weihnachtsabend wie jedes Jahr: Essen, Weihnachtslieder singen mit Ellen am Klavier (früher war das Mama) und Bescherung: hier werden nie zwei Geschenke gleichzeitig ausgepackt, immer schön der Reihe nach, damit man auch alles mitbekommt. Wir Geschwister wichteln schon seit Jahren untereinander, feste Partner eingeschlossen, da es ein kleines Vermögen kosten würde, für alle etwas zu besorgen und Wichteln macht zudem mehr Spaß!

Nicht fehlen darf nach dem langen Abend der nächtliche Spaziergang durch Dühren. Wir begleiten Manu, unseren ältesten Bruder, und Hamada nach Hause, damit er uns seine WG zeigen kann. Er ist nämlich erst vor kurzem bei Mama und Papa ausgezogen. Wir sind alle total begeistert: ein Fachwerkhaus wie aus dem Bilderbuch! Manu hat das Zimmer unterm Dach, alles bissl schepp, aber gut.

von links nach rechts: Ellen, Manu, Minh, Hamada, ich, Baldi und Diemy

Schon die ganze Zeit habe ich mich auf die gemütlichen Feiertage gefreut: essen, lesen, laufen, Zeit mit meinen Geschwistern, mit der Familie, tolle Gespräche mit Mama. Am ersten Feiertag kommen David und Marina mit Tochter Sansa vorbei, Nach einem Spaziergang durchs Dorf sitzen wir zusammen bei lecker Essen.

ein ganz normales Abendessen bei den Holders

Am 26. steht wie jedes Jahr Gansessen bei einer Schwester von Papa eine Straße weiter auf dem Programm. Von seinen sieben Geschwistern wohnen fünf im selben Dorf, eine Schwester drei Kilometer weiter und nur ein Bruder weiter entfernt. Dementsprechend ist dies eine von vielen Gelegenheiten im Jahr, bei denen die Großfamilie zusammenkommt. Geschätzt haben wir zwanzig Cousins und Cousinen (gezählt habe ich nie), von denen wir mit einigen wie mit besten Freunden aufgewachsen sind. Das Zugehörigkeitsgefühl ist kaum beschreibbar. So viele Menschen, die man von klein auf kennt, sich umarmt, vertraut, Sicherheit und Heimat verspürt.

Am 27. drücke ich Papa, Mama, Ellen und Anne feste mit Tränen in den Augen, könnte sein, dass ich sie nicht mehr sehe bevor ich abreise. Gegen abend bin ich zurück in LU.

Den nächsten Tag nutze ich, um einiges in Mannheim zu erledigen. Allein für den ganzen bürokratischen Kram ist es gut, mal wieder hier zu sein: Bank, Steuer, Versicherungen, die unnötig geworden sind, Verträge stilllegen – da kommt einiges zusammen. Vera kommt aus der Mosel zurück und ich verbringe den Nachmittag gemütlich mit ihr. Als Rainer abends von der Arbeit kommt, koche ich für alle und uns wird bewusst, dass das wahrscheinlich unser letzter gemeinsamer Abend ist, denn morgen bin ich schon wieder unterwegs und wenn ich den Flug nach Florida nehme, den ich entdeckt habe, verpasse ich die beiden, bevor sie wiederum zurück sind – die Zeit rennt! Schwermut… Vera und Rainer waren mir vorher schon so nah und sind jetzt noch fester in meinem Herz verankert. Die Verabschiedung am nächsten Morgen fällt mir alles andere als leicht.

Nach einem kleinen gesunden Frühstück bei meiner Freundin Eva in Schwetzingen treten wir unsere sechsstündige Autofahrt an den Mondsee in Österreich an. Eva hatte mich im November gefragt, ob ich Lust hätte, Silvester mit ihr hier zu verbringen. Das ZENtrum, in dem sie selbst schon zweimal war, bietet einen etwas anderen Jahreswechsel an mit mehr Bewusstsein und viel Meditation – ich überlege nicht lange und sage zu. Mit vielen Geschichten, die uns seit unserer letzten Begegnung bewegt haben, vertreiben wir uns die Fahrzeit. Ich mag Evas ehrliche unverblümte Art.

ca 2013 in einer Bar in Mannheim mit Eva an Franzis Geburtstag

Eva und mich verbindet zum einen unsere Heimat: sie kommt aus dem Nachbardorf Hoffenheim, welches heute durch den Fußball Weltbekanntheitsstatus genießt. Wie das auf dem Land so ist, kennt jeder irgendwie jeden und man hat zumindest eine Idee, welche Familie aus welchem Dorf kommt. Wirklich kennengelernt haben wir uns allerdings erst in einem legendären Frankreichurlaub an der Atlantikküste in Lege-Cap-Ferret mit gemeinsamen Freunden, die dort Familie haben. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben, sie wohnte auch eine Weile in Mannheim und ist nach sieben Jahren München vor kurzem wieder in die Heimat gezogen. Eva ist also ein unkompliziertes Mädel vom Land wie ich selbst und es ist schön so viel Vergangenheit miteinander zu teilen. Man muss sich nicht erklären, wir können uns gemeinsam an alte Geschichten erinnern und mit ihrer direkten Art bringt sie mich oft ganz ohne Vorwarnung zum lachen.

Eva befindet sich gerade in einer bewegenden Phase ihres Lebens: sie lernt, wieder alleine zu wohnen, sich neu zu definieren, ist auf der Suche nach sich selbst, sehnt sich nach innerer Ruhe. Meditation ist ihr dabei ein hilfreicher Begleiter. Ihr Wesen ist neugierig, direkt, unverblümt. („Sarah, ich hoffe ja mal, wenn wir uns jetzt schon so intensiv mit uns selbst beschäftigen, dass das mit fünzig abgehakt ist, sonst kann ich mir gleich die Kugel geben“) Wenn sie sich da mal nicht täuscht, denn so ganz fertig sind wir ja nie, was das Leben so spannend macht. Sie liebt die Berge, lässt sich gerne begeistern, ist einfühlsam und sensibel.

Gastgeberin Waldtraut steht gerade auf der Straße als wir ankommen. Ich habe über Airbnb ihr Gästezimmer gebucht, denn die Jugendherberge ist unverschämt teuer. Sie empfängt uns mit einem außergewöhnlichen Strahlen im Gesicht. In ihrer Wohnung fühlt man sich sofort wohl. Ich bleibe zunächst einmal ruhig und Eva regelt alles für uns; ist auch mal schön, wenn ich mich nicht um alles kümmern muss. Nach kurzem Plausch mit Waldtraut machen wir uns mehr oder weniger gleich auf in den Ort zum Abendessen und entscheiden uns für das Lokal ‚Wirtskultur‘- es gibt sogar indisches Curry für Veganer, aber wenn ich schon mal hier bin, will ich auch was handfeschdes: Sauerkraut und Bratkartoffeln – mmmmh, lecker!

Den nächsten Morgen beginnen wir mit ayurvedischem Porridge im Naturladen Glückskost und fahren auf Waltdrauts Empfehlung hinauf zur Postalm: was für eine traumhafte Winterlandschaft! Ewig habe ich nicht so viel Schnee gesehen. Es knirscht herrlich unter den Stiefeln, wir packen uns warm ein und begeben uns auf einen Rundweg von fünf Kilometern. Weit und breit ist kaum ein Mensch zu sehen, unglaublich wie wenig hier los ist. Eva schwärmt schon ewig von der Magie der Berge und mit ihrer Stille, Weite, Stärke und Kraft umfangen diese mich mit einem gewissen Zauber, was mich überrascht, da ich mich sonst immer mehr dem Meer zuwende.

ayurvedisches Porridge zum Frühstück

Schneewanderung an der Postalm

Auf halbem Weg kehren wir ein in die Huberhütte: Flädlesuppe, Bauernkrapfen, Skiwasser und Glühmost. Dann bei Schneegestöber zurück zum Auto, halb durchgefroren zur Wellnessalm Leopoldhof: Kräutersauna, Ruheraum mit Wasserbetten, Pool, Schwebeliegen – was braucht man mehr.

Beim Frühstück mit Waltdraut am Silvestertag haben wir das erste Mal Zeit für ein längeres Gespräch miteinander und spüren ganz schnell, dass wir auf derselben Wellenlänge sind. Waldtraut ist total offenherzig und so finden wir uns wieder in tiefen Gesprächen über die Liebe, das Leben, Reisen, Schicksalsschläge und was einem so zufällt – fühlt sich an als würden wir uns schon ewig kennen. Sie ist so positiv und neugierig, ihr Strahlen ist immer wieder erfrischend, sie ist locker, vertraut den Menschen, verwöhnt uns wo sie kann und man fühlt sich sofort wohl mit ihr. Ganz begeistert ist sie von meiner Reise und stellt viele Fragen – was für eine tolle Begegnung mit ihr.

mit Eva und Waltdraut am Neujahrstag

Mit Blick auf die Uhr müssen wir uns losreißen, denn um vier beginnt unsere Veranstaltung und es ist schon nach eins. Für einen kurzen Spaziergang zum See mit spektakulärer Aussicht reicht es allerdings noch.

Mondsee

Im ZENtrum finden sich nach und nach alle Teilnehmer ein, bei Tee, Kaffee, Keksen und Obst beschnuppert man sich zunächst. Nach der offiziellen Begrüßung durch Bernhardt und Marion, die das ZENtrum leiten, folgen Kennenlernrunde, erste Meditation und Gruppenfindung für die nächste Aktivität: Jeder wählt ein Bild, das ihn besonders anspricht und erklärt seine Wahl, die anderen in der Gruppe finden dann eine Assoziation zwischen Bild und Person. Ich bin zunächst etwas nervös, ob mir zu jedem etwas Passendes einfällt und dann ganz erstaunt, wie ich andere spüren kann, einfach eine Verbindung schaffen kann zwischen Bild und Person. Das Spiel gefällt mir: man bekommt etwas über sich gesagt, was überraschend zutreffend ist und hat die Möglichkeit, anderen etwas Schönes mit auf den Weg zu geben.

Gutes Essen und mehr Meditationen, während der zwei Orte meiner Reise von meinem inneren Auge auftauchen: die grüne Lagune und das Elqui Tal, dort fühlte sich mein Herz wohl. Ich unterhalte mich mit ein paar interessanten Frauen mit anziehender Energie. Sie wollen über meine Reise hören, sind fasziniert und bestärken mich in dem, was ich tue. Um halbdrei liegen wir im Bett, ich bin total aufgekratzt.

Am Neujahrsmorgen nochmal gemütliches Frühstück mit Waltdraut, mittags müssen wir dann aber wirklich los, denn wir haben noch ein paar Stunden Heimreise vor uns. Waldtraut schenkt mir zum Abschied das Buch ‚Stille‘ von Erling Kagge, welches ich heute noch bei mir habe.

Nach langem Stau bin ich um kurz vor 9 Uhr abends zuhause bei Rainer und Vera, mann, fühle ich mich wohl hier. Nach kurzem Gespräch mit Paul nehme ich mir ein Glas Wein, ich bin noch ganz aufgedreht von den letzten schönen Tagen. Das Aufbrechen wird schwer fallen.

Da ich Noni (Spitzname für Veronica), Mama und wer sonst noch da ist noch einmal sehen möchte, fahre ich zwei Tage vor meinem Abflug nochmal nach Dühren. Den Mittag verbringe ich mit Ellen, während Papa mit erhöhtem Blutdruck ins Krankenhaus gefahren wird, mit seinem Parkinson gehen wir lieber auf Nummer sicher. Letztendlich nichts wildes, wir bleiben alle ruhig, so wie Mama uns das immer vorgelebt hat. Dann zu Noni, alle sind da und gut drauf. Gegen zehn abends wieder zu Mama, sie ist mit Papa zurück, der jetzt regelmäßig Blutdruck messen muss und erst mal senkende Medikamente nehmen soll. Mama erzählt Ellen und mir von früher und von ihrer Mutter, unserer Oma Elsbeth, wie sie all ihre Kleider früher nähte. So erklärt sich auch ihr ausgefallener geschmackvoller Kleidungsstil heute. Was ein Schatz, den sie damals weggegeben hat! Jetzt heißt es wirklich Abschied nehmen.

Mein letzter Tag bricht an. Ich packe meinen Rucksack, habe ein paar Klamotten ausgetauscht und Winterstiefel dabei, denn nach einem Zwischenstop in Florida geht es zurück nach Kanada. Schon seit ich aus Österreich zurück bin, habe ich ein schweres Herz, Momente, in denen ich am liebsten den Flug canceln würde, fühle mich so wohl hier gerade. Andererseits spüre ich nach wie vor die Getriebenheit in mir. Suche etwas, von dem ich selbst nicht weiß, was es ist.

Bilder sichern, Zeug verstauen, gegen Abend ein letztes Mal Baldi umarmen, dann weiter zu David und Marina, Diana und Meike sind auch da und schon am Essen, ich bin spät. Alle vier sind total goldig, spüren meine Schwermut, hören mir zu. Meike meint, es gibt schon einen Grund, warum ich mit einem bestimmten Gefühl den Flug gebucht habe. Jetzt heißt es hinter der Entscheidung stehen, in dem Gefühl bleiben – recht hat sie. Ich habe einen wunderschönen Abend, trinke zu viel Wein, quatsche noch ewig mit Marina und David, nachdem die Mädels gegangen sind. Genau diese Dinge fehlen mir, diese Momente mit den Menschen, die mir gut tun, die ich liebe und von denen ich geliebt werde.

Das Leben erfüllt dir deine Sehnsucht nach absolutem Halt. Wenn du still wirst und in dich hineinlauschst, dann hörst du eine Stimme. Das ist die Stimme des Lebens und des Vertrauens. Diese Stimme wird dich zu deiner eigenen Mitte führen, da wo du zuhause bist. Und sie wird dich zu deiner Sehnsucht der absoluten Geborgenheit führen. Laß dich einfach fallen. – Afschin Kamrani